Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

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558 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
trug und zugleich den Grafen Münster bat, sich des Herzogthums anzu- 
nehmen. 
Der Regent überließ die braunschweigischen Geschäfte, unter Münster's 
Aufsicht, dem herzoglichen Geheimraths -Collegium. Dessen Seele war 
Geh. Rath v. Schmidt-Phiseldeck, ein einsichtiger, gewissenhafter Beamter, 
der schon das Vertrauen des verstorbenen Herzogs besessen hatte und sich 
bald allgemeine Achtung im Lande erwarb. Die vollständige Wiederher- 
stellung der alten Ordnung erregte hier, wo das Königreich Westphalen 
unsäglich verhaßt war, keinen Unwillen. Die vormundschaftliche Regierung 
verfuhr nach der wohlwollenden, bedachtsamen hannoverschen Weise; doch 
die Dinge lagen hier einfacher, da Braunschweig keine neuen Gebiete er- 
worben hatte, nothwendige Reformen waren leichter durchzusetzen. In 
einzelnen Dingen ließ sich allerdings erkennen, daß die kalte Hand eines 
fremden Verwesers über dem Lande waltete. Schwerlich hätte ein einge- 
borener Herzog sich so gleichmüthig wie der Prinzregent entschlossen, den 
Braunschweigern die Georgia Augusta als Landesuniversität anzuweisen 
und die ruhmvolle Helmstädter Hochschule nicht wiederherzustellen, obgleich 
der prächtige Thurmbau des Juleums und der reiche akademische Grund- 
besitz noch vorhanden waren: wie viel Segen war doch einst von dieser 
Stadt des Friedens, von dem kleinen Holzhause Calixt's über Deutschland 
ausgegangen! Ueberhaupt erlangte das kleine Welfenland die bedeutende 
Stellung, die es früherhin im deutschen Leben behauptet, niemals wieder. 
Seit die Herzöge sich der Hauptstadt bemächtigt und die Thüren des 
Hansesaales im Altstädtischen Rathhaus geschlossen hatten, war Braun- 
schweig „die stolze Stadt“ nur noch eine kleinbürgerliche Residenz; auch 
ihr Carolinum, im achtzehnten Jahrhundert eine so wichtige Bildungs- 
stätte, galt jetzt nicht mehr als andere gute Gymnasien. 
Immerhin erschien die neue stille Zeit dem Volke nicht unbehaglich. 
Die Finanzen waren wohl geordnet, die Steuerlast mäßig, für Wegebau 
und Schulwesen geschah viel, und das Hausvermögen des jungen Herzogs 
nahm unter Schmidt-Phiseldeck's sparsamen Händen beträchtlich zu. Auf 
Bitten der Ritterschaft wurde 1819 der alte Landtag einberufen, dessen 
Privilegien zuletzt im Jahre 1770 festgestellt waren, und mit Zustimmung 
der Stände kam am 25. April 1820 die Erneuerte Landschaftsordnung, 
eine zeitgemäße Verbesserung des alten Landrechts zu Stande. Diese 
neue braunschweigische Verfassung stand den Grundsätzen des hannoverschen 
Patents vom December 1819 nahe, aber sie ruhte auf unanfechtbarem 
Rechtsboden, und sie gewährte den freien Bauern, die sich in Hannover 
mit einem Versprechen begnügen mußten, sofort eine Vertretung von 
zwanzig Abgeordneten. Den bäuerlichen Hintersassen war auch in Braun- 
schweig kein Wahlrecht verliehen; an diese Reform wagten überall im alt- 
ständischen Norddeutschland nur Einzelne zu denken. Im Wesentlichen 
entsprach die neue Ordnung den Wünschen des Landes.
	        
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