560 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
1535, wurden die braunschweigischen Prinzen mit dem vollendeten acht-
zehnten Jahre mündig. Diese Regel war zwar nicht immer unverbrüch-
lich eingehalten worden; in dem Testamente des verstorbenen Herzogs be-
fand sich auch eine unklare Stelle, welche sich zur Noth so verstehen ließ,
als hätte der Vater die Mündigkeit seines Nachfolgers noch um einige
Jahre hinausschieben wollen. Weit überwiegende Gründe sprachen jedoch
für die Giltigkeit des alten Hausgesetzes, und da der König den stillen
Groll seines Neffen kannte, so mußte er Alles vermeiden, was dem Herzog
einen Vorwand für rechtliche Beschwerden bieten konnte. Gleichwohl
wünschte Graf Münster die Vormundschaft zu verlängern. Unlautere Ab-
sichten bestimmten ihn nicht, denn die Braunschweigische Regentschaft brachte
ihm nur Arbeit, keinen Vortheil; er war aber gewohnt über Rechtsfragen
vornehm hinwegzugehen, und fand den jungen Welfen noch nicht reif für
die Regierungsgeschäfte. Bei einiger Menschenkenntniß hätte er freilich
vorhersehen müssen, daß dieser Fürst mit zwanzig Jahren schwerlich klüger
sein würde als mit achtzehn. Um alle Bedenken zu beseitigen ließ König
Georg die Meinung des Wiener und des Berliner Cabinets einholen.
Hardenberg rieth (Juli 1822), man möge durch die Vermittlung des Wiener
Hofes, bei dem sich der junge Herzog gerade aufhhielt, diesen selbst zur
freien Zustimmung bewegen, und in der That genehmigte Herzog Karl
auf Metternich's Zureden — allerdings erst nachdem der Zeitpunkt seiner
Volljährigkeit bereits eingetreten war —, daß die Regentschaft noch um ein
Jahr verlängert wurde.
Damit schien Alles in Ordnung. Im Oktober 1823 hielt der nun-
mehr Neunzehnjährige seinen Einzug als regierender Fürst, jauchzend be-
grüßt von seinem Völkchen, das die tapferen Welfen abgöttisch verehrte.
Er vermied die neue Landschaftsordnung zu beschwören, ließ zunächst die
Dinge gehen, verbrachte die nächsten drei Jahre zumeist auf Reisen um
nach dem langen Zwange die Freuden des Lebens von Grund aus zu
genießen. Späterhin behauptete er freilich, wenig glaubhaft, er hätte dem
Fürsten Metternich versprechen müssen, während dieser ersten Zeit nichts
in der Regierung zu ändern. Als er endlich heimkehrte, hatte er nichts
gelernt, aber im Strudel wüster Ausschweifungen die letzte Scham ver-
loren und zudem durch die Lehren Metternich's, der diesen Welfen zärtlich
liebte und mit Schmeicheleien überhäufte, eine überspannte, fast wahn-
witzige Vorstellung von der Schrankenlosigkeit seiner souveränen Fürsten-
gewalt gewonnen. Sofort begann nun ein System gehässiger Verfolgung,
das selbst der Geduld der ergebenen Braunschweiger zu arg ward; aus
jedem Worte und jeder That des Herzogs sprach die Frechheit eines zucht-
losen Knaben. Am 10. Mai 1827 erklärte Karl in einer Verordnung, er
erkenne die Handlungen der Regentschaft nur insoweit an, als sie nicht über
wohlerworbene Regenten= oder Eigenthumsrechte verfügt hätte; Alles aber
was in dem Jahre der verlängerten Regentschaft geschehen sei, behalte er