Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

568 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
Fürstengewalt ihre Machtvollkommenheit erreichte, erlebte sie in Mecklen- 
burg ihren tiefsten Fall. In classischen Worten verkündete dies Grund- 
gesetz die patrimoniale Staatsansicht, welche Haller späterhin ins System 
brachte: der Staat erschien hier nur als ein Nebeneinander wohlerwor- 
bener Sonderrechte, das gemeine Recht ward grundsätzlich verleugnet, selbst 
das gemeine Wohl nur nebenher anerkannt. Die Landesordnungen, so 
hieß es (§ 192, 194), theilen sich in zwei Klassen: solche, die das herzog- 
liche Kammergut, und solche, die das gesammte Land-, Ritter= und Land- 
schaft angehen. Unter den letzteren wieder werden unterschieden solche 
Ordnungen, welche die wohlerworbenen Rechte von Ritter= und Landschaft 
berühren, und „solche Gesetze, welche gleichgiltig, jedoch zur Wohlfahrt und 
zum Vortheil des gesammten Landes absichtlich und diensam sind“. 
Diesen Rechtsbestand fand Herzog Friedrich Franz von Schwerin 
vor, als er im Jahre 1785 seine lange Regierung begann, ein Fürst so 
recht nach dem Herzen des Volks, derb und gradezu, fröhlich und neckisch, 
nicht sonderlich gebildet, aber von kerngesundem Verstande, ein abgesagter 
Feind aller Frömmelei. Wer hätte ihm zürnen mögen, weil er den Wei- 
bern, dem Weine, den Karten und nahezu allen Freuden des Lebens 
noch über das ländlich sittliche Maß hinaus ergeben war? Sein Mutter- 
witz und sein Wohlwollen machten Alles wieder gut. In Doberan, dem 
ersten deutschen Seebade, das er eingerichtet hatte, sah man ihn oft 
stundenlang mit den Rostocker Studenten trinken oder auch mit irgend 
einem Handwerksmeister zusammen an der Spielbank sitzen, bis sie gründ- 
lich ausgebeutelt selbander heimgingen. Mit jenen „gleichgiltigen“ Gesetzen 
für die gemeine Wohlfahrt nahm er es sehr ernst, und mehrmals ver- 
suchte er, fast immer umsonst, sich der Bauern gegen den Adel anzu- 
nehmen. Die demüthige Stellung, die ihm das Landesrecht anwies, war 
der kräftigen Natur des Herzogs widerwärtig. Er sprach seinen Unwillen 
über das Adelsregiment so derb aus, daß er noch lange nach seinem 
Tode von den Liberalen als der mecklenburgische Reformfürst verehrt 
wurde. Als er durch den Rheinbund die Souveränität erlangt hatte, 
erklärte er den Ständen seine Absicht, dem gesammten Lande eine Ver- 
fassung zu geben. Der Landtag aber kannte die Geldnoth des leicht- 
lebigen Fürsten und vereitelte die Reform durch rechtzeitige Bewilligung 
eines erhöhten Hufenschosses. 
So kam denn der Erbvergleich, als das älteste der bestehenden deut- 
schen Verfassungsgesetze, ganz unverändert in die neue Zeit hinüber und 
ward auch vom Bundestage anerkannt, obwohl sein Inhalt mit den Vor- 
schriften der Bundesakte nicht recht übereinstimmte. Das Großherzogthum 
Mecklenburg-Strelitz, das die Bundesgesetze unter den souveränen deut- 
schen Bundesstaaten aufführten, war dem mecklenburgischen Staatsrechte 
ganz unbekannt. Hier kannte man nur das Herzogthum Schwerin, das 
den mecklenburgischen Kreis umfaßte, und das Herzogthum Güstrow, dem
	        
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