Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

630 III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine. 
erzählt, in verzweifelter Stimmung. Die Finanznoth stieg, das Volk 
murrte. Die armen Leineweber auf dem Vogelsberge bei Alsfeld hatten 
durch die spanische Revolution ihren Markt verloren, das Hinterland um 
Biedenkopf fand, eingepreßt zwischen preußische Gebiete, keinen Absatz 
mehr für seine Teppiche und Wollwaaren, der Mainzer Handelsstand konnte 
die Last der nahen preußischen Zollstellen kaum mehr ertragen. Im Land- 
tage verlangten einzelne Stimmen, wie schon vor Jahren der Abgeordnete 
Perrot, eine Verständigung mit Preußen, andere befürworteten den süd- 
deutschen Verein. Nur darin war man einig, daß der Staat in seiner 
vereinsamten Stellung nicht bleiben könne; die Kammer sprach die Er- 
wartung aus, daß irgend ein Zollverein zu Stande komme, und gab der 
Regierung freie Hand. Großen Eindruck machte auf den Minister eine von 
dem Fabrikanten Bayer im Vogelsberge eingereichte, vom Pfarrer Frank 
verfaßte Denkschrift, die sorgfältig nachzuweisen suchte, daß der Waaren- 
zug des Landes überwiegend durch Preußen gehe. Darum lehnte du Thil 
die bairische Einladung ab, obgleich Lerchenfeld zweimal von Frankfurt 
herüber kam und König Ludwig persönlich im Bade Brückenau den hes- 
sischen Staatsrath Hofmann zu überreden suchte. Immer klarer ward 
ihm die Erkenntniß, daß nur der Beitritt zum preußischen Zollsystem 
noch retten könne. Es war ein kühner Entschluß für den Minister eines 
Mittelstaates; denn im Grunde waren doch alle bisherigen süddeutschen 
Zollverhandlungen zur Abwehr gegen das preußische Zollwesen unter- 
nommen worden, und seit dem Köthener Streite stand an sämmtlichen 
Höfen die Meinung fest, daß durch eine Verständigung mit Preußen die 
souveräne Würde schimpflich preisgegeben werde. Indeß der muthige 
Minister war gewöhnt die Stimmungen des Tages geringzuschätzen, er 
pflegte in den Landtagsverhandlungen seine selbständige Gesinnung oft 
sehr scharf und nicht ohne verletzende Ironie auszusprechen. 
Aber würde Preußen auf den unerwarteten Antrag eingehen? Schon 
im Sommer 1825 hatte der Darmstädter Hof einmal in Berlin ange- 
fragt, ob Preußen geneigt sei einen Zollverein mit beiden Hessen abzu- 
schließen, und fofort eine zustimmende Antwort erhalten. Nachher war 
Preußen aber wieder zurückgetreten, weil Kurhessen sich dem Plane ver- 
sagte, und damals in Berlin noch die Meinung herrschte, die Erweiterung 
des Zollsystems dürfe nur „von Grenze zu Grenze“, von dem näheren 
Nachbarn zu dem entfernteren vorschreiten.') Aus dieser Meinung er- 
klärte es sich auch, daß ein halbes Jahr darauf eine zweite, sehr unbe- 
stimmt gehaltene Anfrage aus Darmstadt dahin beantwortet wurde: Ver- 
handlungen mit Darmstadt allein versprächen keinen Erfolg, weil das 
Großherzogthum nicht an Preußen angrenze.) 
  
*) Maltzan's Bericht, 23. Juni; Weisungen an Maltzan, 5. Juli, 6. Aug. 1825. 
**7) Maltzan's Bericht, 3. Febr.; Schuckmann's Ministerialschreiben, 25. März 1826.