630 III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
erzählt, in verzweifelter Stimmung. Die Finanznoth stieg, das Volk
murrte. Die armen Leineweber auf dem Vogelsberge bei Alsfeld hatten
durch die spanische Revolution ihren Markt verloren, das Hinterland um
Biedenkopf fand, eingepreßt zwischen preußische Gebiete, keinen Absatz
mehr für seine Teppiche und Wollwaaren, der Mainzer Handelsstand konnte
die Last der nahen preußischen Zollstellen kaum mehr ertragen. Im Land-
tage verlangten einzelne Stimmen, wie schon vor Jahren der Abgeordnete
Perrot, eine Verständigung mit Preußen, andere befürworteten den süd-
deutschen Verein. Nur darin war man einig, daß der Staat in seiner
vereinsamten Stellung nicht bleiben könne; die Kammer sprach die Er-
wartung aus, daß irgend ein Zollverein zu Stande komme, und gab der
Regierung freie Hand. Großen Eindruck machte auf den Minister eine von
dem Fabrikanten Bayer im Vogelsberge eingereichte, vom Pfarrer Frank
verfaßte Denkschrift, die sorgfältig nachzuweisen suchte, daß der Waaren-
zug des Landes überwiegend durch Preußen gehe. Darum lehnte du Thil
die bairische Einladung ab, obgleich Lerchenfeld zweimal von Frankfurt
herüber kam und König Ludwig persönlich im Bade Brückenau den hes-
sischen Staatsrath Hofmann zu überreden suchte. Immer klarer ward
ihm die Erkenntniß, daß nur der Beitritt zum preußischen Zollsystem
noch retten könne. Es war ein kühner Entschluß für den Minister eines
Mittelstaates; denn im Grunde waren doch alle bisherigen süddeutschen
Zollverhandlungen zur Abwehr gegen das preußische Zollwesen unter-
nommen worden, und seit dem Köthener Streite stand an sämmtlichen
Höfen die Meinung fest, daß durch eine Verständigung mit Preußen die
souveräne Würde schimpflich preisgegeben werde. Indeß der muthige
Minister war gewöhnt die Stimmungen des Tages geringzuschätzen, er
pflegte in den Landtagsverhandlungen seine selbständige Gesinnung oft
sehr scharf und nicht ohne verletzende Ironie auszusprechen.
Aber würde Preußen auf den unerwarteten Antrag eingehen? Schon
im Sommer 1825 hatte der Darmstädter Hof einmal in Berlin ange-
fragt, ob Preußen geneigt sei einen Zollverein mit beiden Hessen abzu-
schließen, und fofort eine zustimmende Antwort erhalten. Nachher war
Preußen aber wieder zurückgetreten, weil Kurhessen sich dem Plane ver-
sagte, und damals in Berlin noch die Meinung herrschte, die Erweiterung
des Zollsystems dürfe nur „von Grenze zu Grenze“, von dem näheren
Nachbarn zu dem entfernteren vorschreiten.') Aus dieser Meinung er-
klärte es sich auch, daß ein halbes Jahr darauf eine zweite, sehr unbe-
stimmt gehaltene Anfrage aus Darmstadt dahin beantwortet wurde: Ver-
handlungen mit Darmstadt allein versprächen keinen Erfolg, weil das
Großherzogthum nicht an Preußen angrenze.)
*) Maltzan's Bericht, 23. Juni; Weisungen an Maltzan, 5. Juli, 6. Aug. 1825.
**7) Maltzan's Bericht, 3. Febr.; Schuckmann's Ministerialschreiben, 25. März 1826.