Der preußisch-hessische Zollverein. 635
Ebenso streng wurde die Gleichberechtigung der Verbündeten in Sachen
der Zollgesetzgebung aufrecht erhalten. Der Artikel 4 lautete ursprüng—
lich: Abänderungen der Zollgesetze sollen nur in „gegenseitigem Einver—
nehmen“ erfolgen, „und es sollen alle diese Veränderungen im Groß—
herzogthum Hessen im Namen S. K. H. des Großherzogs verkündigt
werden“. Diese Fassung erregte in Darmstadt schmerzliches Aufsehen.
Prinz Emil selbst eilte zu Maltzan, stellte ihm vor: „der Großherzog
weiß, daß man in Berlin selbst nicht wünscht, daß die großherzogliche
Regierung in den Augen des übrigen Deutschlands erniedrigt werde.“)
Eichhorn, der längst verlernt hatte, sich über die Weltanschauung deut—
scher Kleinfürsten zu verwundern, ging auf die Bitte ein; er strich jene
erniedrigenden Worte, ersetzte sie nachträglich durch die Wendung: „und
sollen von jeder der beiden Regierungen ihrerseits verkündigt werden“.
Damit war das europäische Gleichgewicht zwischen Preußen und Darm—
stadt wieder hergestellt.
So bereitwillig die preußischen Staatsmänner in diesen lächerlichen
Formfragen nachgaben, ebenso schwer fiel ihnen der Entschluß, den
Inhalt des Art. 4 selbst anzunehmen. Wann hatte denn jemals eine
Großmacht ihre Zollgesetzgebung dem guten Willen eines Staates vom
dritten Range unterworfen? Es war vorauszusehen, daß dieser Darm—
städtische Vertrag allen späteren Zollvereinsverträgen ebenso zum Vorbilde
dienen würde, wie der Sondershausener Vertrag das Muster gewesen
war für alle nachfolgenden Enclavenverträge. In jenem Augenblicke
freilich standen die kleinen Cabinette den Ideen des Freihandels sogar
noch näher als Preußen. Doch konnte dem Scharfblick Motz's und
Maassen's nicht entgehen, daß diese Parteistellung in einer nahen Zu—
kunft sich gänzlich verschieben würde, sobald in Oberdeutschland eine
junge Großindustrie entstand. Der preußischen Zollgesetzgebung drohte
vielleicht Stillstand und Verkümmerung, wenn die Mittelstaaten ein Veto
erhielten.
Alle diese staatswirthschaftlichen Bedenken mußten verstummen vor
den glänzenden Aussichten, welche sich der nationalen Politik Preußens
eröffneten. Darmstadt — so berichtete Eichhorn dem Könige — empfängt
durch den Vertrag erst die Möglichkeit eines haltbaren Zollsystems. Preußen
gewinnt die wichtige Position in Mainz, verhindert den süddeutschen Sonder-
bund in den Norden hinein vorzudringen, und darf mit Sicherheit darauf
rechnen, daß Hessens Beispiel Nachfolge finden, eine große handelspolitische
Vereinigung entstehen wird. Nochmals wird sodann dem Könige versichert,
daß jede Feindseligkeit gegen deutsche Staaten vermieden werden solle.
„Die Vereinigung ist von Ew. Maj. Behörden weder gesucht, noch weniger
durch verführerische Lockungen veranlaßt worden; man hat nur Anträge
*) Maltzan's Bericht, 20. Febr. 1828.