Byron. 711
Poet fühlen, daß der Byronische Weltschmerz keine Nachahmung zuließ.
Neben den großen sittlichen Mächten, welche das historische Leben zu—
sammenhalten, erscheint der Einzelne so klein, daß nur ein gottbegnadeter
Dichter, der selber eine Welt im Herzen trug, sich ihnen entgegenstemmen
durfte, ohne der Lächerlichkeit eitler Selbstbespiegelung zu verfallen. Byron
hatte, so sagte sein Freund Shelley, die Schönheit nackt gesehen und wurde
dann wie Aktäon von ihren Hunden zerrissen. In seinem schönsten und
frechsten Werke, dem Don Juan, offenbarte sich neben einer Fülle frivolen
Spottes eine so wunderbare Kenntniß der süßen Geheimnisse des Herzens,
neben einem Radicalismus, der alles Heilige in Frage zu stellen schien,
eine so lautere Begeisterung für echte Menschengröße, daß die Dichtung
wohl unreife junge Köpfe verwirren konnte, aber alle tiefen und freien
Geister bezaubern mußte. Ueber allen seinen Werken lag jener Zauber
des eigenen Erlebnisses, dem die Dichtung ihre Macht verdankt. Er war
was er schrieb; er durfte aller alten Ordnung den Frieden aufsagen, der
kühne Heimathslose. Geächtet von der heuchlerischen Sitte seines Vater-
landes, stand er ganz auf sich selbst allein und fand im Kampfe für die
Freiheit der Völker einen glorreichen Tod.
Mit allen seinen Sünden ein großer und wahrhaftiger Mensch,
ragte er hoch empor über den deutschen Dichter, der zuerst versuchte unsere
Poesie mit einem Hauche Byronischen Weltschmerzes zu erfüllen. Heinrich
Heine war in Düsseldorf aufgewachsen, mitten in der Herrlichkeit der
rheinischen Sagen und hatte sich, wie alle die jüngeren Romantiker, an
den Liedern des Wunderhorns begeistert; doch er vermochte an diese
Wunderwelt nicht so naiv zu glauben, wie der Schwärmer Eichendorff.
Sein scharfer, in der Schule Hegel's durchgebildeter jüdischer Verstand
und die frühreife cynische Welterfahrung, die er unter den sittenlosen
Millionären Hamburgs angesammelt hatte, lehnten sich beständig auf
wider die romantischen Träume. Aus diesen Widersprüchen kam er nie
heraus. Von der menschlichen Größe unserer classischen Dichter besaß er
nichts. Geistreich ohne Tiefe, witzig ohne Ueberzeugung, selbstisch, lüstern,
verlogen und doch zuweilen unwiderstehlich liebenswürdig, war er auch als
Dichter charakterlos und darum merkwürdig ungleich in seinem Schaffen.
Er erlebte Augenblicke wahrer Begeisterung, wo die Muse seine Lippen
weihte, wo er den Naturlaut starker Empfindung traf und mit be-
wunderungswürdiger plastischer Kraft anschauliche Bilder gestaltete. Oft
aber mißbrauchte er sein virtuoses Formtalent um seelenlos das An-
empfundene nachzudichten. Noch öfter überwältigte ihn der Drang der
Selbstverhöhnung also, daß er sich von der Höhe des idealen Gefühles
plötzlich mit einem Bocksprunge in die Plattheit der Zote oder des schlechten
Witzes hinabstürzte und den Lesern grinsend die Unwahrheit seiner eigenen
Empfindung eingestand.
An seinen Versen, die so leicht hingeworfen schienen, feilte er unab-