64 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
energisch, blieb er fortan durch viele Jahre eine Säule der hochconser-
vativen Partei in Süddeutschland. Otterstedt, der sich seines besonderen
Vertrauens erfreute, urtheilte über ihn: „er lebt nur in und mit dem
monarchischen Princip, das er wie ein wahrer Chevalier zu vertheidigen
versteht.“" Die Stimmung des Prinzen verdüsterte sich noch mehr, da
eben in diesen Tagen auch die alte feste Mannszucht des kleinen Heeres,
dem er mit Leib und Seele angehörte, zu wanken schien. Leutnant Schulz,
jener Genosse der Unbedingten, der das revolutionäre Frag= und Antworts-
büchlein unter die Bauern geworfen hatte, wurde vom Kriegsgerichte frei-
gesprochen. Ein so ungerechter Wahrspruch — Grolmann selbst konnte
das nicht in Abrede stellen — wäre vor einem Jahre noch unmöglich
gewesen; es ließ sich nicht verkennen, daß die aufregenden Nachrichten von
den spanischen und italienischen Soldatenmeutereien das militärische Pflicht-
gefühl der Offiziere des Kriegsgerichts verwirrt hatten.)
Auch du Thil, der an dem entscheidenden Beschlusse des Ministe-
riums keinen Antheil genommen, sprach sich sehr besorgt aus. Er gab
wohl zu, daß der Bestand einer Verfassung beruhigend wirken könne:
denn wie die Welt vor dreihundert Jahren für und wider die Trans-
substantiation kämpfte, so „ist Constitutionssucht heute die Modekrank-
heit“". Dennoch hielt er es für „eine unbegreifliche Unbesonnenheit, das
furchtbare Beispiel zu geben, daß die Volksvertretung mit der Regierung
über die Verfassung unterhandelt.“““) Otterstedt vollends, der ewig Auf-
geregte, redete in seinen Berichten, als ob die Jacobiner obenauf wären;
er beschwor seine Regierung, in einem Ministerialschreiben ihre förmliche
Mißbilligung auszusprechen: auf keinen Fall dürfe Grolmann, nach solchen
Beweisen der Unzuverlässigkeit, das Ministerium des Auswärtigen be-
halten.
Der alte Großherzog selber begann bereits wieder zu schwanken und
versprach seinem Sohne Emil im tiefsten Vertrauen, daß Grolmann das
auswärtige Amt an du Thil abtreten solle, sobald die großen Mächte es
verlangten.“) Die Diplomaten der Nachbarschaft blickten voll Angst auf
„das Theater der Intrigue“, das sich in Darmstadt aufgethan; Goltz in
Frankfurt hielt für ausgemacht, daß der Unheilsmann Wangenheim auch
hier wieder die Hand im Spiele gehabt, und Marschall schalt: so lasse
„ein schwacher Regent und ein unerfahrener unbeholfener Minister die
Zügel aus der Hand“ gleiten.)) Der preußische Hof aber bewahrte auch
diesmal, wie noch bei allen Verfassungskämpfen des Südens, eine wohl-
wollende Zurückhaltung. Der vielgeschäftige Gesandte erhielt die strenge
*) Otterstedt's Bericht, 23. Okt.; Grolmann an Otterstedt, 19. Okt. 1820.
* F) Du Thil an Otterstedt, 23. Okt. 1820.
**?) Otterstedt's Berichte, 18., 23., 29. Okt.; Prinz Emil v. Hessen an Otterstedt,
29. Okt. 1820.
1) Goltz an Hardenberg, 21. Nov.; Marschall an Berstett, 16. Okt. 1820.