712 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
lässig bis sie seinem feinen und sicheren Sprachgefühle genügten; jener
höchste Künstlerfleiß aber, der sich jahrelang mit gesammelter Kraft in
einen mächtigen Stoff zu versenken vermag, war ihm unerreichbar. Ihm
fehlte die Gabe der Architektonik, die den Meister macht; von allen seinen
geplanten größeren Werken kam keines zu Ende, nicht einmal der viel—
verheißende Anfang der Geschichte des Rabbi von Bacharach. Weil er
dies Unvermögen insgeheim fühlte, so trug er seine Zerrissenheit prahlerisch
zur Schau. Er nannte sich selber einen aufopfernden Schwärmer, im
Gegensatze zu Goethe's Selbstsucht; indeß war er doch zu weltklug und
auch zu sehr ein Künstler, um, wie Börne, den Altmeister öffentlich zu
lästern. Seine beflissenen journalistischen Kameraden priesen ihn als den
Dichter mit der lachenden Thräne im Wappen, der das Geheimniß ent-
deckt habe, zugleich durchnäßt und verbrannt zu sein, und nannten es
erhabenen Weltschmerz, wenn er zwischen Spott und Sehnsucht haltlos
schwankte. Dieser Weltschmerz aber entstammte nicht der Verzweiflung
eines starken und trotzigen Geistes, sondern der Unfähigkeit die poetische
Stimmung ausdauernd festzuhalten.
Heine begann mit weichlichen Minneliedern auf wunnevolle Magedein
und mit allerhand süßlich witzelnden Feuilleton-Artikeln. Erst seine Harz-
reise (1826) erregte einen Sturm des Beifalls, dem sich selbst die höfische
Gesellschaft nicht entzog. Der burschikose Humor, der hier sein aus-
gelassenes Wesen trieb, Alles von der lächerlichen Seite nahm, Hoch und
Niedrig mit seinen Pritschenschlägen traf, erschien in dem dumpfen und
gedrückten Leben dieser Tage fast wie eine befreiende That. In den
Nordseegedichten bewährte er sodann sein Talent der Naturschilderung auf
einem noch ganz unbebauten Gebiete. Alle unsere Dichter bisher waren
Binnenländer, Heine zuerst schilderte den Deutschen die Majestät des
Weltmeeres. Aber die Fortsetzung der Reisebilder entsprach dem glänzen-
den Anfang nicht. Die Gestaltungskraft des Dichters erlahmte sichtlich.
Er reihte nur noch sentimentale Nachklänge aus Yorick's empfindsamer
Reise, novellistische Bruchstücke, politische und philosophische Betrachtungen
locker aneinander; und diese geschmacklose Vermischung von Poesie und
Prosa behagte, weil sie gar so bequem war, der Trägheit der Schrift-
steller wie der Leser, so daß die deutsche Poesie des nächsten Jahrzehnts
sich fast ganz in picante Feuilleton-Planderei verflüchtigte. Eigenthümlich
war in den letzten Bänden der Reisebilder nur die Frechheit der Unzucht:
sodomitische Schmutzereien, wie sie Heine in seiner niederträchtigen Polemik
gegen Platen vorbrachte, hatten den Tempel der deutschen Dichtung bisher
noch niemals geschändet. Mit dem Schatten Napoleon's trieb er einen
Götzendienst, der selbst die Schmeichelreden des napoleonischen Senats noch
überbot, und diese Bedientengesinnung erschien um so ekelhafter, da sie
offenbar gutentheils der Gefallsucht entsprang: durch die Verherrlichung
des Genius wollte der eitle Dichter zugleich seine eigene Größe verklären.