734 III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
kanzler sehr gnädig und ermahnte den Czaren, als dieser sich über Oester—
reichs Treulosigkeit beschwerte, väterlich: er möge die Nothwendigkeit der
Eintracht zwischen den drei Ostmächten bedenken und die Nothwendigkeit
des Friedens nach so vielen Kriegen.)
An seinem Hofe stritten sich zwei Parteien. Die Hochconservativen
Wittgenstein, Karl von Mecklenburg, Schuckmann, Ancillon schworen, wie
immer, auf die Worte ihres Wiener Meisters; die freieren Köpfe, Witz-
leben, Motz, Bernstorff, Eichhorn neigten sich der Politik des Dreibundes
zu, die Einen, weil sie die philhellenische Gesinnung der Zeit theilten, die
Andern, weil sie den Staat der Vormundschaft Oesterreichs ganz ent-
ledigen wollten. Auch Prinz Wilhelm und die anderen jüngeren Prinzen
des königlichen Hauses verhehlten nicht, daß sie die Politik des russischen
Schwagers mit ihren guten Wünschen begleiteten. Selbst in der Armee
wagten sich die Philhellenen jetzt offen heraus; Gneisenau's Schwieger-
sohn, der Sohn Scharnhorst's, meldete sich zum Eintritt in das griechische
Heer. Nur der Kronprinz zeigte sich unsicher, er schwankte zwischen
Metternich und Nikolaus. Der Parteikampf ward bald so lebhaft, daß
Ancillon seine Entlassung forderte, weil Bernstorff ihn nicht mehr be-
schäftigte. Durch einige freundliche Worte des Königs ließ er sich freilich
beschwichtigen;"*) aber der Streit währte fort, bis im Herbst 1827 die
österreichische Partei allen Einfluß verlor.
Den Anlaß zu dieser glücklichen Entscheidung gaben die Wiener Gesandt-
schaftsberichte; denn jetzt endlich, seit dem Tode des Fürsten Hatzfeldt,
erhielt der König wieder unbefangene Mittheilungen über die Zustände und
Stimmungen in Oesterreich. Der junge Legationsrath Frhr. v. Maltzahn,
der bis zur Ankunft seines zum Gesandten ernannten älteren Bruders
die Geschäfte führte, bekleidete seinen Posten noch nicht acht Wochen, da
durchschaute er schon die Verlogenheit Metternich's, die der verblendete
alte Fürst in vielen Jahren nicht bemerkt hatte. „Es ist meine Pflicht,"
meldete er schon im April, „offen zu gestehen, daß Fürst Metternich keines-
wegs in gutem Glauben ist,“ wenn er der friedlichen Gesinnungen der
Pforte sicher zu sein behauptet; er wünscht dies auch gar nicht, sondern
will nur dem Sultan freie Hand verschaffen um die Griechen zu bändigen,
und er ist überzeugt, daß England, wenn auch mit andern Mitteln und
aus anderen Gründen, denselben Zweck verfolgt.) Als dann der neue
Gesandte selbst in Wien eingetroffen war, ein stolzer Preuße, der sich
durch seine conservative Gesinnung das nüchterne Urtheil nicht trüben
ließ, da folgten Woche für Woche Berichte ähnlichen Inhalts. Sie
*) K. Friedrich Wilhelm's Antwort auf K. Nikolaus' Schreiben v. 4./16. Aug. 1827.
**) Ancillon, Eingabe an den König, 12. Mai; Cabinetsordre an Ancillon,
19. Mai 1827.
*F#„) Bericht des Frhrn. v. Maltzahn d. J., 14. April 1827.