Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Verwerfung der Quotisation. 87 
fand. Er wollte die Gesammtsumme der Staatssteuern, mit Ausnahme 
der Zölle, nach der Kopfzahl auf die Provinzen vertheilen, dann jeder ein- 
zelnen Provinz ihre Grundsteuern sowie ihre Staatssteuern von Wein, 
Branntwein und Tabak anrechnen und nur den Rest durch die neuen 
Steuern aufbringen. 
Dies schwächliche Zugeständniß an die mißleitete öffentliche Meinung 
ward im Staatsrath sofort und mit guten Gründen bekämpft. Welche 
Unbilligkeit, die ausgesogenen alten Provinzen mit einer höheren Klassen- 
steuer zu belasten als das wohlhabende Rheinland; in Schlesien lagen 
die wirthschaftlichen Verhältnisse so verzweifelt, daß auf dem rechten Oder- 
nfer viele Rittergüter, deren Inventar im Kriege zerstört war, noch jahre- 
lang herrenlos blieben, weil sich kein Käufer finden wollte. Und war es 
denn sicher, daß die Rheinländer wirklich eine so unbillige Last trugen, 
wie sie behaupteten? Bei dem kläglichen Zustande der Kataster konnte 
Niemand diese Frage bestimmt beantworten. Legte man den Maßstab der 
Bevölkerung an, der in den preußischen Bureaus als der immerhin 
sicherste Werthmesser für das Volksvermögen galt und auch bei den Zoll- 
verhandlungen mit den Nachbarstaaten regelmäßig angewendet wurde, so 
ergab sich unzweifelhaft, daß der Kopf der Bevölkerung in der Provinz 
Sachsen reichlich um die Hälfte mehr Grundsteuern trug als am Rhein, 
und als vierzig Jahre später die Ausgleichung der Grundsteuer endlich 
gelang, da stellte sich heraus, daß bisher nicht die Rheinländer, sondern 
die Schlesier, nach diesen die Westphalen und die Sachsen die höchsten 
Procente vom Reinertrage des Bodens gezahlt hatten. Solche Durch- 
schnittsberechnungen nach der Gesammtbelastung der Provinzen gaben 
überhaupt kein treues Bild von der wirklichen Lage; denn die ärgsten 
Ungleichheiten des alten Grundsteuerwesens zeigten sich innerhalb der ein- 
zelnen Provinzen. Durfte man den märkischen und pommerschen Bauer, 
der bereits schwere Grundsteuern zahlte, darum noch mit einer erhöhten 
Klassensteuer beladen, weil in seiner Nachbarschaft zahlreiche steuerfreie 
Ritterhufen lagen? Noch ernster als alle diese berechtigten Bedenken schien 
die Gefahr, welche der Staatseinheit drohte. Wurden die Steuern quoti- 
sirt, so konnten sie fortan nur nach Anhörung von acht oder zehn Pro- 
vinziallandtagen erhöht werden, der Staatshaushalt gerieth abermals, wie 
vor 1806, unter den lähmenden Einfluß des ständischen Particularismus 
und verfiel wieder in jene hilflose Unbeweglichkeit, die zur Zeit der Re- 
volutionskriege so viel Unheil angerichtet hatte. Diese Erwägungen, von 
Bülow nachdrücklich hervorgehoben, gaben den Ausschlag, der Staatsrath 
verwarf die Quotisation mit 36 gegen 13 Stimmen, und der Kanzler 
selber mußte jetzt zugestehen, daß die Vorschläge seiner Commission die 
vorhandene Ungleichheit nicht aufheben, sondern vielleicht noch verstärken 
würden.)) Also wurde das schlimmste Gebrechen der neuen Entwürfe 
*) Hardenberg's Votum über die Quotisation, 19. April 1820. 
 
	        
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