Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

92 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
wurde leicht gewonnen. Der Hartnäckigkeit des Königs der Niederlande 
aber ließ sich mit Überredung nicht beikommen. Obwohl er in die Tei- 
lung seines Königreichs längst gewilligt hatte und nur noch gegen einzelne 
Artikel des Vertrages sachliche Einwände erhob, so fühlte er sich doch 
durch das rücksichtslose Verfahren der Konferenz tief beleidigt. Er wollte 
dem koburgischen Thronräuber nicht verzeihen und hoffte insgeheim auf 
einen allgemeinen Krieg, der Hollands Entwürdigung noch abwenden 
sollte. „Nach allem was geschehen,“ schrieb er seinem Schwager, „ist es 
mir unmöglich, in Leopold nicht nach wie vor meinen Feind zu sehen. 
Meine Sache ist nicht meine eigene, sie ist allen rechtmäßigen Regie- 
rungen gemeinsam.“ Vergeblich hielt ihm Friedrich Wilhelm vor, daß 
Holland sich durch seine Unversöhnlichkeit den Beistand seiner Verbün- 
deten selbst verscherze.) 
Der Oranier nahm diese Drohung nicht für Ernst; er zählte auf 
Rußlands Beistand, denn Nikolaus wiederholte beständig: ich ratifiziere 
nicht eher, als bis der rechtmäßige König die Belgier aus dem Untertanen- 
verbande entlassen hat. So drehte man sich im Kreise; die beiden Legi- 
timisten in Petersburg und im Haag versteckten sich einer hinter dem 
andern. Da Ancillons Denkschriften auf den Zaren keinen Eindruck 
machten, so schrieb König Friedrich Wilhelm selbst: er achte, ja er teile 
die Gefühle seines Schwiegersohnes, aber „ich habe meinem Herzen 
Schweigen auferlegt, um den Geboten der politischen Vernunft zu ge- 
horchen“; nicht um der Oranier, sondern um Europas willen sei Belgien 
einst mit Holland vereinigt worden, also dürfe man auch bei der Tren- 
nung nur das allgemeine Interesse im Auge haben; bei einem allge- 
meinen Kriege bilde Rußland doch nur die Nachhut, die Last des Kampfes 
falle auf Deutschland, darum sei es Pflicht der drei Ostmächte, im Haag 
gemeinsam zu erklären, daß ihre Geduld Grenzen habe.?) 
Nach langem Widerstreben und mehrfachen Rückfällen ließ sich der Zar 
überzeugen und sendete im Februar 1832 seinen Vertrauten Orlow nach 
dem Haag, um dort noch einen letzten Versuch zu wagen. Als Orlow, 
wie zu erwarten stand, bei dem Oranier nichts ausrichtete, erklärte er 
ihm am 22. März rundweg, sein Kaiser könne nunmehr die Ratifi- 
kation nicht länger verschieben und überlasse alle Verantwortung dem 
Könige.“*) Bei allen diesen Verhandlungen wähnte Nikolaus noch immer, 
  
*) Oberst Scharnhorsts Bericht an den König 28. Aug. Witzleben an Ancillon 
22. Okt. Eichhorns Denkschrift für Prinz Albrecht 25. Okt. K. Wilhelm d. Niederl. 
an K. Friedrich Wilhelm 5. Dez. Antwort 24. Dez. 1831. 
**) Ancillon, Rundschreiben an die Gesandtschaften, 18. Dez. 1831. K. Friedrich 
Wilhelm an K. Nikolaus, nebst Memorandum, 12. Jan. 1832. 
*#*) K. Nikolaus an K. Wilhelm der Niederl. 18. Jan. a. St. Russische Denk- 
schrift, zur Beantwortung des preußischen Memorandums, Febr. Nesselrode, Weisung 
an Lieven, Ende März 1832.
	        
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