114 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
von Kaiser und Reich war die Frage rechtlich nicht zu lösen. Die Welfen
wußten sich wieder nicht zu helfen, und wieder mußte Preußen sie vor—
wärts treiben.
König Friedrich Wilhelm zeigte sich in diesem Handel überraschend
sest und sicher. Wie tief er auch von der Heiligkeit des monarchischen
Rechtes durchdrungen war, so sagte ihm doch sein ehrliches Gewissen, daß
jedem menschlichen Rechte eine letzte Schranke gesetzt ist. Er hielt es für
eine sittliche Pflicht, den deutschen Fürstenstand von einem Unwürdigen
zu befreien, und für ein Gebot der Klugheit, der Nation in dieser Zeit
der Gärung zu beweisen, daß mindestens das Übermaß fürstlicher Will-
kür in Deutschland nicht geduldet werde. Kurz und kühl erwiderte er
auf einen neuen Brief des Flüchtlings: die Agnaten und dann der Bund
hätten noch einmal zu sprechen, die deutschen Fürsten würden alles „aus
dem Gesichtspunkt fürstlicher Ehre und Würde in sorgfältige Erwägung
ziehen“.?) Weder die legitimistischen Doktrinen seines Schwagers Karl von
Mecklenburg, noch die Bitten der braunschweigischen Verwandtschaft ver-
mochten ihn umzustimmen. Als Karls Großmutter, die greise, halb
erblindete Markgräfin Amalie von Baden und deren Tochter, die Königin-
Witwe Karoline von Bayern ihm nach Frauenart vorstellten, der Ver-
bannte werde durch „sein schreckliches Unglück“ hoffentlich gebessert wer-
den, da antwortete der König: „Zur Wiederherstellung der Ordnung im
Herzogtum und zur Sicherung der Ruhe in den Nachbarlanden gibt
es nur das eine Mittel: die Regierungsunfähigkeit, wovon Herzog Karl
nur zu arge Proben gegeben hat, förmlich anzuerkennen und die Staats-
gewalt in den Händen seines Bruders gesetzlich zu befestigen.“ 77)
In diesem Sinne war auch die neue Denkschrift gehalten, welche das
Auswärtige Amt am 9. Jan. 1831 dem hannöverschen Gesandten Reden
für die Agnaten übergab. Sie führte aus: nachdem die Statthalterschaft
durch Karls letzte Schritte unmöglich geworden, sollten die Agnaten nicht
als Richter auftreten, sondern lediglich die Tatsache der „absoluten Re-
gierungsunfähigkeit“ des Herzogs feststellen. „Eine in Ausübung der
Regierungsgewalt bewiesene Bösartigkeit, welche gerade wegen der dabei
vorhandenen völligen Zurechnungsfähigkeit die Gemüter seiner Unter-
tanen gegen ihn empört hat,“ macht ihn unfähig zu regieren, „weil der
Eindruck seiner Handlungen nicht ausgelöscht zu werden vermag.“ Solche
Pflichtverletzungen würden, von einem Privatmann begangen, nicht zur
Entmündigung führen, sondern „ganz andere Folgen haben“. Ist die
Tatsache der Regierungsunfähigkeit Karls durch die Agnaten förmlich
anerkannt, so übernimmt Herzog Wilhelm, nicht durch Übertragung, son-
*) König Friedrich Wilhelm an Herzog Karl, 19. Jan. 1831.
**) Markgr. Amalie an K. Karoline, 30. Nov. K. Karoline an K. Friedrich Wilhelm,
3. Dez. Antwort, 16. Dez. 1830.