124 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Da die Agnaten aus Ratlosigkeit die Frage der Thronfolge offen
gelassen hatten, so ergab sich als notwendige, aber keineswegs beabsich—
tigte Folge, daß keiner der beiden feindlichen Brüder sich vermählen konnte.
Als stolzer Welfe wünschte Herzog Wilhelm eine Gemahlin aus großem
Hause, doch alle seine geheimen Bemühungen blieben vergeblich, die vor—
nehmeren Höfe trugen allesamt Bedenken, die Nachkommenschaft ihrer
Töchter einer ungewissen Zukunft preiszugeben.“) Die Braunschweiger
wußten wenig von diesen Mißerfolgen ihres Herzogs; sie beschworen ihn
wieder und wieder, daß er den alten Heldenstamm nicht aussterben lasse,
die Städte Braunschweig und Wolfenbüttel baten einmal sogar in einer
feierlichen Adresse um eine Landesmutter.*) Alles umsonst. Nach und nach
ward das Volk mißtrauisch. Seltsame Gerüchte liefen um, und der ver-
triebene Landesherr nährte sie geflissentlich durch seine Brandschriften. Die
böse Welt fragte nach ihrer Gewohnheit: wem bringt das Aussterben der
braunschweigischen Linie Vorteil? — und da die Antwort nur lauten
konnte: dem Hause Hannover — so bildete sich bald ein kunstvolles Lügen-
gewebe, das unzerstörbar fest erschien, weil alle seine Fäden eng verknotet
waren. Man glaubte allgemein, die hannöverschen Welfen hätten Erb-
schleicherei getrieben und dem Herzog Wilhelm gegen das Versprechen der
Ehelosigkeit zur Krone verholfen, Preußen aber sei Hannovers ergebener
Schildknappe gewesen. Es war das genaue Gegenteil der Wahrheit. Die
treibenden Kräfte bei dem Handel waren einerseits das braunschweigische
Volk, das seinen bösen Herzog für alle Zukunft beseitigen, andererseits die
Krone Preußen, die den anarchischen Zustand an ihrer Grenze rasch und
endgültig ordnen wollte. Die Welfen wurden allein durch die Macht der
Verhältnisse gedrängt: Herzog Wilhelm etwas schneller, weil ihm die Not
auf den Nägeln brannte, König Wilhelm langsamer und ganz wider
Willen. Von Anfang bis zum Ende zeigten die Hannoveraner eine
schwerfällige, aber ehrenwerte Gewissenhaftigkeit; nur den Uneingeweihten
erschienen sie fälschlich als die Führer, weil Preußen sie absichtlich am
Bundestage stets vorangehen ließ.
Zweiundzwanzig Jahre lang hat Herzog Karl dann noch im Auslande
gelebt, eine Schande des deutschen Namens. Die gute Gesellschaft zog
sich in London wie in Paris bald von ihm zurück; nur einzelne über-
spannte Radikale, wie der ehrliche Thomas Duncombe, schenkten seinen
demokratischen Kraftworten Glauben. Halb Geizhals, halb Verschwender,
vermehrte er den geretteten, sehr ansehnlichen Teil seines Vermögens
durch glückliches Börsenspiel und legte sich die schönste Juwelensammlung
der Erde an; dann praßte er wieder mit einem Gesindel von Dirnen
*) Diese auch durch andere Zeugnisse beglaubigte Tatsache wird als allen Höfen
wohlbekannt und als abschreckendes Beispiel angeführt von Herzog Karlvon Mecklenburg
in seiner Denkschrift über die Heirat des Herzogs von Orleans (1837).
**) Canitzs Bericht, Hannover 28. April 1839.