128 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
mit dem Kehrreime schloß: „Alles seufzt zum Gott des Lichts: Ach die
Hure läßt uns nichts!“ Schon begannen die Bauern ihre Frondienste
einzustellen; die Wilddieberei nahm überhand, mehr noch der Schmuggel,
denn das Zollwesen war durch die törichte Handelspolitik des Kurfürsten
gänzlich in Verruf gekommen, ein Schlagwort des Tages lautete: „die
Maut ist ein Kind der Finsternis.“ In Kassel traten die Zunftmeister
zusammen, um über die Landesbeschwerden zu beratschlagen; ein Küfer
Herbold führte das große Wort und ward mit dem Namen des hessischen
Masaniello geehrt, denn diese deutschen Bürgerhelden fühlten sich nur im
Schmucke ausländischer Federn stolz und herrlich. Als der Pöbel dann
die Bäckerläden zu stürmen versuchte, bewaffneten sich die Bürger und
stellten die Ordnung her. Die erschreckte Regierung ließ sie gewähren
und öffnete die kurfürstlichen Kornmagazine; das Getreide des Landes-
vaters ward aber auch jetzt noch, nach dem alten Brauche des Kurhauses,
zu erhöhten Preisen verkauft, und erst nachdem Abgesandte der Bürger-
schaft dem Finanzminister drohend ins Haus gerückt waren, entschloß er
sich, bis zum Marktpreise herabzugehen.
So aufgestört fand der Kurfürst seine friedliche Hauptstadt vor, als
er am 12. September, abgespannt und kaum genesen, endlich heimkehrte;
seine Geliebte hatte er jenseits der Landesgrenze zurücklassen müssen,
weil die Minister sonst das Argste befürchteten. Am 15. September
standen die Bürger dicht gedrängt, in banger Spannung, auf dem Fried-
richsplatze, derweil die Stadträte im Palaste eine Adresse übergaben,
welche den Kurfürsten beschwor, die Landstände zu berufen und „Sich als
Vater mit Ihren Kindern zu beraten, wie unserer Not zu helfen sei.“
Droben im Saale ergriff der Bürgermeister Karl Schomburg das Wort,
ein echter Hesse, ernst, besonnen, freimütig, und schilderte in tief er-
greifender Rede das Elend des verwahrlosten Landes. Der Kurfürst ver-
wünschte im Herzen seine „Bürgerrebellen“, aber er sah auch, was die
finsteren Gesichter draußen ankündigten, und gab zitternd seine Zusage.
Alsbald eilte der Küfer Herbold an das Geländer vor dem Schlosse,
und als er ein weißes Taschentuch schwenkte, durchbrauste stürmisches
Freudengeschrei den weiten Platz. Wie oft ist dann in Lied und Bild
die Friedensbotschaft des hessischen Masaniello verherrlicht worden; ein
schwarzes Tuch in Herbolds Händen — das wußte jedermann — hätte
dem Aufruhr das Zeichen gegeben. Mit Tanz, Gesang und feurigen
Reden ging dieser „große Tag der hessischen Geschichte“ zu Ende; auch
vor dem Hause der preußischen Gesandten erklangen jubelnde Hochrufe,
denn König Friedrich Wilhelm stand als Bruder und Beschützer der ge-
liebten Kurfürstin hoch in Ehren, und nicht selten hörte man unter den
Unzufriedenen die Drohung: wir wollen preußisch werden.
Schnell genug verflog der Rausch der Freude. Die Kasseler fuhren
fort, dem Verbote zum Trotz, ihre Bürgerversammlungen abzuhalten und