Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

180 IV. 3. Preußens Mittelstellung. 
den Maschinen! Der König ließ die Stadträte seiner Hauptstadt sehr un- 
gnädig an, und Bernstorff klagte im ersten Schrecken über „dies neue Sym- 
ptom jenes Schwindel-= und Wahngeistes, der leicht ganz Europa in ein 
großes Narrenhaus verwandeln kann.““*) Aber der Spuk verflog, sobald die 
Truppen, ohne zu feuern, einige Hiebe mit der blanken Waffe ausgeteilt 
hatten, und der Berliner Schneiderkrawall wäre rasch der Vergessenheit 
anheimgefallen, wenn nicht Chamisso dem „Kleidermacher-Mute“ in 
seinem Liede: Courage, Courage! ein dauerndes Denkmal gesetzt hätte. 
Selbst in Posen wurde die Ordnung nirgends gestört, trotz der fieberischen 
Aufregung des Adels und trotz der Zuzüge, die heimlich über die polnische 
Grenze gingen. — 
Nur auf einem entlegenen Außenposten seiner Hausmacht, in Neuen- 
burg, mußte König Friedrich Wilhelm für seinen Besitzstand kämpfen. 
Mit dem preußischen Staate hatte das schöne Juraländchen schlechterdings 
nichts gemein als das Herrscherhaus und dessen Erbfolgeordnung; und 
so gewissenhaft wahrten die Hohenzollern von jeher dies Rechtsverhältnis 
der reinen Personalunion, daß sogar die neuenburgischen Offiziere, die 
im französischen Heere gegen Preußen fochten, nach der Schlacht von Roß- 
bach ungestraft als ehrliche Kriegsgefangene behandelt wurden. Nach dem 
unglücklichen Schönbrunner Vertrage erhielt Marschall Berthier die Fürsten- 
krone, aber sofort nach Napoleons Sturze wurde die hundertjährige Ver- 
bindung mit dem Hause Hohenzollern wieder angeknüpft; die Herstellung 
vollzog sich in allen Formen Rechtens, Berthier verzichtete ausdrücklich 
und erhielt von der Krone Preußen eine Entschädigungsrente. Mit 
heller Freude empfingen die Neuenburger sodann ihren alten König bei 
seinem Einzuge. 
Solange der Lord Marshal und die anderen königlichen Gouver- 
neure der fridericianischen Tage ihr mildes und sorgsames Regiment 
führten, war die Eintracht zwischen Fürst und Volk immer ungestört 
geblieben. Die Gemeinden erfreuten sich ihrer uralten Freiheiten; die 
Landesverwaltung wurde unentgeltlich und — mit einziger Ausnahme 
des königlichen Gouverneurs — ausschließlich von Landeskindern besorgt, 
aber die stolzen Patriziergeschlechter, welche die Amter zu bekleiden pflegten, 
durften hier nicht, wie überall sonst in der alten Schweiz, ihre Macht zu 
oligarchischem Drucke mißbrauchen, weil die Gerechtigkeit der Monarchie sie 
in Schranken hielt. Steuern blieben den Neuenburgern in diesen könig- 
lichen Zeiten ganz unbekannt, der Ertrag der Domänen und Regalien 
nebst einigen Grundzinsen genügte vollauf; der König bezog ein Einkommen 
von 27000 Talern, das er regelmäßig zu gemeinnützigen Zwecken im 
Lande selbst verwendete. Und wie wunderbar war der Wohlstand auf- 
  
*) Blittersdorffs Bericht, 30. September. Bernstorff, Weisung an Maltzahn, 
20. September 1830.
	        
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