12 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
wie ein Nachtwandler schritt Polignac seines Weges. Bernstorff und
selbst Metternich bezweifelten längst, ob er die Überlegenheit des Charak-
ters und des Talentes besitze, um den ungleichen Kampf zu bestehen; er
aber meinte wirklich, nur eine Handvoll Schreier gegen sich zu haben und
beteuerte den fremden Gesandten: einer Mehrheit in der Kammer bedarf
ich nicht, der Wille des Königs vermag in Frankreich alles.') So stand
Prinzip gegen Prinzip. Der versöhnliche Sinn, der die schwerfälligen
konstitutionellen Formen allein zu beleben vermag, fehlte hüben wie
drüben; beide Teile verfuhren nach französischem Herkommen ohne Offen-
heit und verbargen ihre letzten Absichten.
Monatelang konnten die Minister unter Polignacs unfähiger Leitung
zu keinem Entschlusse gelangen, sie besorgten gemächlich ihre Verwaltungs-
geschäfte und wagten schlechterdings keinen tadelnswerten Schritt. Trotz-
dem verschworen sich die Blätter der Opposition, diesem Kabinett das Re-
gieren unmöglich zu machen, und schwelgten in wütenden Beschimpfungen,
die von der amtlichen Zeitung eben so heftig erwidert wurden. Der Streit
ward täglich giftiger, eben weil die Regierung noch nichts verschuldet hatte.
Bereits spürte man überall den Einfluß der Gesellschaft Aide-toi, die,
aus Republikanern und Doktrinären gemischt, seit drei Jahren schon den
Sturz der Bourbonen vorbereitete. In den Provinzen bildeten sich Ver-
eine, um zur Steuerverweigerung aufzufordern für den möglichen Fall,
daß der König die Charte verletzen sollte. Seit Neujahr 1830 gab dann
Thiers mit einigen anderen jungen Talenten die Zeitung Le National
heraus und entfaltete hier ungescheut das Banner der Trikolore. Eine
Zeitlang hoffte Fürst Polignac, durch Erfolge der auswärtigen Politik
die Aufmerksamkeit von den inneren Händeln abzulenken. Kaum ins Amt
eingetreten, legte er dem Könige einen großen Entwurf für die Neugestal-
tung Europas vor: darnach sollte die Türkei geteilt, der König der Nie-
derlande in Konstantinopel, der König von Sachsen in Aachen unterge-
bracht, Preußen durch Sachsen und Holland vergrößert werden, Frankreich
endlich ohne Schwertstreich in den Besitz von Belgien gelangen. Aber der
Friede von Adrianopel zerstörte die phantastischen Pläne, noch bevor sie
den großen Mächten mitgeteilt waren. Nachher erhob sich ein Streit
mit dem Dei von Algier; ein freundliches Geschick beschied den Bour-
bonen, noch wenige Tage vor ihrem Sturze durch einen kühnen und ge-
schickten Angriff dem neuen Frankreich seine wichtigste Kolonie zu er-
obern. Doch selbst dieser schöne Erfolg brachte die Nation nicht ab von
dem einen Gedanken, der sich ihres Geistes bemächtigt hatte.
Als der König am 2. März die Tagung der Kammern eröffnete, er-
klärte er in der Thronrede feierlich: er werde die geheiligten Rechte seiner
*) Bernstorff an Maltzahn, 1. Februar, 1830. Berichte von Maltzahn, 26. Januar
1830, von Werther 12. August 1829 ff.