212 IV. 3. Preußens Mittelstellung.
zu einer vertraulichen Besprechung und stellte ihnen vor, daß diese Tage
der Gärung außerordentliche Vorsichtsmaßregeln erheischten; denn „der
Bund beruht seinem eigentlichsten Wesen nach auf dem Prinzip der wechsel—
seitigen Intervention in allen den Fällen, wo sonst das Völkerrecht ent—
scheidet.“*) Man beabsichtigte zunächst mehrere tausend Mann Bundes-
truppen in der Nachbarschaft Frankfurts aufzustellen, nötigenfalls auch
einige fliegende Korps durch das unruhige Mitteldeutschland zu senden.
Da erhob Bayern Einsprache. König Ludwig wollte nichts dulden, was
seine Souveränität irgend schmälerte: nimmermehr könne Bayern, das
an dreizehn Nachbarn angrenze, fremden Weisungen gehorchen oder gar,
wic man in Frankfurt verlangte, einige seiner Bataillone einem nassaui—
schen General unterordnen; nur als souveräne Macht, nicht als Bundes-
staat werde sein Staat den Nachbarn Hilfe leisten. Er selbst wähnte sich
völlig sicher, da sein Land bisher noch ruhig blieb und die Münchener
ihr Oktoberfest mit der üblichen Bierseligkeit feierten. Seinem Bundesge-
sandten schrieb er sehr gereizt: „Wir sind bereitwillig, Unsere bundesmäßige
Hilfe nach den Bestimmungen der Bundesgesetze mit deutsch-patriotischen
Gesinnungen zu leisten; aber Wir haben keinen Grund, zum Schutze der
Grenzen Unseres Reiches eine fremde Hilfe zu verlangen;“ und sein
Minister Zentner fügte hinzu: „Einquartierungen im Frieden sind ver-
haßt und werden es noch mehr, wenn der brave Bürger für dritte, für
Angehörige anderer Staaten büßen soll.“77)
Metternich fürchtete schon, die alte Sonderpolitik Bayerns werde von
neuem beginnen, und griff in seiner Angst zu einem sehr ungewöhn-
lichen Unterhandlungsmittel. Er schickte König Ludwigs eigenen Gesand-
ten, den Grafen Bray, nach München, mit einem Handschreiben des
Kaisers Franz und zwei großen Denkschriften, welche dem Wittelsbacher
die Gefahr der Lage vor die Augen führen sollten: „Für die Fürsten
und die Völker handelt es sich heute darum, zu leben und nicht die
Beute jener Klasse von Proletariern zu werden, welche Ziele verfolgen,
die sie selbst nicht angeben wollen und können und welche immer nur
umstürzen, niemals etwas schaffen werden.“““*) Anfangs empfing König
Ludwig seinen Gesandten, der ihm also k. k. Politik predigen sollte, mit
erklärlichem Unwillen; er lenkte jedoch bald ein, dankte dem Kaiser in
einem verbindlichen Schreiben für seine „erhabenen Ansichten“ und ver-
wahrte sich wider den Verdacht, daß er Spaltungen am Bunde hervor-
rufen wolle.-)
*) Blittersdorffs Bericht, 18. September 1830.
*) K. Ludwig, Weisungen an Lerchenfeld, 4., G., 9. Oktober. „Erörterungen“ desbayr.
Ministeriums, 9. Oktober 1830.
*#*„*) K. Franz an K. Ludwig, Preßburg 9. Oktober 1830, nebst zwei Beilagen:
Points pour le Comte Orlow; Points pour le Comte Bray.
t) K. Ludwig an K. Franz, 24. Oktober 1830.