Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Leopold von Baden.] [Winter. 225 
einen jener freundlichen Fußtritte, welche seinem nachtragenden Gemüte 
wohl taten. Er haßte Berstett als persönlichen Feind und Verleumder noch 
von den Veroneser Zeiten her. Als nun Markgraf Wilhelm die württem- 
bergische Prinzessin freite, schenkte der König dem badischen Hausminister 
die übliche Dose; er ließ sie aber nicht, wie der Brauch war, mit seinem 
Bildnis schmücken, sondern die offenbar höhnisch gemeinte Inschrift Lopauté 
et vérité! darauf setzen. Berstett tobte über diese neue Beleidigung „des 
unversöhnlichen Nachbarkönigs“; er sendete das Dangergeschenk dem 
Gesandten General Bismarck mit einem stolzen Briefe zurück, klagte dem 
diplomatischen Korps sein Herzeleid. Der Arme mußte Temperierpulver 
nehmen, um seinen Zorn zu bändigen, und das gesamte hohe Beamten- 
tum teilte seine Entrüstung. Nur der Großherzog wagte nicht, sich des 
gekränkten Ministers anzunehmen, und nun merkte Berstett endlich doch, 
daß seine Uhr abgelaufen sei. Gegen Ende des Jahres war sein und 
Berckheims Rücktritt entschieden.*) Bald nachher verschwand auch Major 
Hennenhofer, jener zweideutige Günstling des alten Großherzogs, der sich 
auch dem Nachfolger schon durch seine Vielgeschäftigkeit unentbehrlich ge- 
macht hatte; eine Stuttgarter liberale Zeitung, der Hochwächter, brachte 
so arge Enthüllungen über seinen sittlichen Wandel, daß man ihn un- 
möglich länger halten konnte.“7) 
Das alte System war gestürzt, das neue noch nicht befestigt. Winter 
übernahm nunmehr förmlich die Leitung des Ministeriums des Innern. 
Er hegte die redliche Absicht, streng nach der Verfassung zu regieren und 
trug sich mit mannigfachen wohldurchdachten Reformplänen. Doch über 
die Grenzen des Ländchens reichte sein Blick nicht weit hinaus: genug, 
wenn nur der Bundestag, dessen erbärmliche Gesetze dem gewiegten Ge- 
schäftsmanne wie elastischer Gummi vorkamen, durch eine behutsame 
Politik verhindert wurde, sich in die badischen Dinge einzumischen. Da 
er selber an dem Ideale eines wohlverwalteten Mittelstaates sein Genügen 
fand, so täuschte er sich gänzlich über die Macht des neuen Radikalismus, 
der doch nur darum so drohend überhand nahm, weil das Volk die 
Jämmerlichkeit der Kleinstaaterei dunkel empfand und sich nach einem 
großen politischen Leben sehnte. Er hielt eine Revolution in Deutschland 
für ganz undenkbar — ein verhängnisvoller Irrtum, der fast allen den 
gemäßigt konservativen Ministern der konstitutionellen Kleinstaaten gemein 
war — und suchte den Grund der allgemeinen Aufregung allein in den 
Brandreden der „Impfer“: so nannte er in seiner volkstümlich derben 
Redeweise jene liberalen Schwätzer, die dem Volke so lange von seinem 
Unglück vorsprächen, bis es selber daran glaubte. Für diese Staatskunst 
  
*) Berstett an Bismarck, 9. Dezember, an Otterstedt, 16. Dezember; Otterstedts 
Berichte, 6., 16., 25 Dezember 1830. 
*) Berichte Salviatis, 19. Juni, Otterstedts, 14. Juni 1831. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 15
	        
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