Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Ludwig Philipp. 19 
Da der Herzog mit seiner ganzen Weltanschauung dem neuen Frank— 
reich angehörte, so täuschte er sich nicht über die gefährdete Lage der alten 
Dynastie, und schon nach den hundert Tagen erwog man in diplomati— 
schen Kreisen die Möglichkeit seiner Thronbesteigung. Die jüngere Linie 
des königlichen Hauses bildete wieder den Mittelpunkt der Opposition, wie 
es im Geschlechte der Capetinger seit Jahrhunderten üblich war; liberale 
Börsenmänner, Abgeordnete, Schriftsteller verkehrten im Palais Royal, 
und P. L. Courier feierte den Herzog als den einzigen nationalen und 
liberalen Prinzen von Geblüt. In weitere Kreise drang sein Ruhm erst, 
als er seine Söhne gut bürgerlich in einem Pariser Lyzeum unterrichten 
ließ. Solange es Monarchen gab, war die Welt bisher der Meinung 
gewesen, daß Fürsten einer anderen Erziehung bedürfen als Untertanen, 
weil sie im Leben anderes leisten sollen. Der Gleichheitseifer des libe- 
ralen Bürgertums setzte sich indes über die Lehren der Erfahrung leicht- 
füßig hinweg und pries den volksfreundlichen Sinn des Herzogs, obgleich 
seine Prinzen den besten Segen der öffentlichen Erziehung, den vollkom- 
men freien Wetteifer der jugendlichen Köpfe und Fäuste, selbstverständlich 
niemals kennen lernten und an Hochmut ihren Standesgenossen nichts 
nachgaben. Als Ludwig Philipp zagend die Krone an sich nahm, da be- 
drückte ihn die frevelhafte Rechtsverletzung nur wenig; dem aufgeklärten, 
durchaus ungläubigen Sohne Philipp Egalités fiel es nicht allzuschwer, 
„die Linie der königlichen Vorurteile zu durchbrechen“, wie sein getreuer 
Thiers sagte. Um so ernstlicher beunruhigte ihn die Sorge um die Zu- 
kunft seiner Familie. Sein Eigentum mußte, nach dem alten, stets un- 
verbrüchlich eingehaltenen Hausgesetze der Capetinger, im Augenblicke der 
Thronbesteigung von Rechts wegen an die Krone fallen. Der Bürgerkönig 
aber bekundete sogleich den kaufmännischen Charakter seines Regiments, 
indem er diesen stolzen königlichen Rechtssatz mit der Gewandtheit eines 
Börsenspielers umging: unmittelbar bevor er die Königswürde annahm, 
trat er sein Vermögen seinen Kindern ab und behielt sich nur die Nutz- 
nießung vor, die er denn auch mit Hilfe der befreundeten Bankfirmen 
sehr wirksam handhabte. Gleichwohl empfand er täglich den Fluch der 
Usurpation; ich sage Ihnen, wiederholte er beständig, meine Kinder wer- 
den kein Brot zum Essen haben. 
Um sich zu halten, durfte er anfangs persönliche Demütigungen und 
demagogische Schliche nicht verschmähen. Er verstand sich dazu, die Lilien 
selbst aus seinem Familienwappen zu entfernen, er ließ den Wortschwall 
seiner süßen Reden unaufhaltsam spielen und verbeugte sich auf den Pa- 
raden verbindlich vor dem souveränen Volke. Bei zweifelhaftem Wetter 
  
gedenkt, erinnerte Hortensia Bonaparte die Höfe, als Ludwig Philipp den Nachkommen 
Eugens den belgischen Thron streitig machte (Schreiben Hortensias an die Herzogin 
Auguste von Leuchtenberg, Rom 27. Jan. 1831, den Kabinetten von Wien und 
Berlin mitgeteilt Febr. 1831).
	        
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