24 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
endlich das Unterhaus, nochmals aufgelöst und neu gewählt, seine Zu—
stimmung gab; den Widerstand der Lords brach der König selbst, indem
er die Gegner persönlich auffordern ließ, der entscheidenden Sitzung fern
zu bleiben, denn durch einen Pairschub fürchtete er das tief herabge—
würdigte Ansehen des Oberhauses ganz zu zerstören. Also ward durch
eine unwiderstehliche Volksbewegung die Neugestaltung des Unterhauses
durchgesetzt (1832). Die Reformbill gewährte bloß das Unerläßliche:
sie verdoppelte die Zahl der Wähler, was nach den Unterlassungssünden
so vieler Jahre nicht unbescheiden schien, sie beseitigte nur die gänzlich
verrotteten Wahlflecken und gab den neuen Gewerbs- und Handelsplätzen
eine den wirklichen Machtverhältnissen noch keineswegs entsprechende
Vertretung.
Was Wunder, daß diese friedliche Neuerung gerade von den ge-
mäßigten Liberalen des Festlandes als ein neuer Beweis englischer
Erbweisheit gepriesen wurde; selbst Dahlmann sah in der Reform ledig-
lich eine heilsame Reinigung der bestehenden Verfassungsorgane, da er
mit seinem Montesquien das Unterhaus für das demokratische Gegen-
gewicht des Oberhauses hielt. Nur einzelne scharfblickende Konservative
unterschätzten nicht die Bedeutung des großen Umschwungs. In einem
geistvollen Aufsatze der Preußischen Staatszeitung sagte Hegel voraus,
diese Reform werde die Macht der alten parlamentarischen Aristokratie
in ihren Grundfesten erschüttern, und der Erfolg gab ihm recht. Bis-
her wurde nur ein Viertel der Commoners frei gewählt, die andern ver-
dankten ihre Sitze allesamt der Gunst der Grundherren und des Kabi-
netts. Von nun an gaben in der Hälfte der Wahlbezirke die Mittelklassen
den Ausschlag, und obwohl der Adel die gewohnten Künste der Wahl-
beherrschung auch jetzt noch in zeitgemäßen Formen und mit großem
Erfolge spielen ließ, so wurde doch das Haus der Gemeinen allmählich,
was es unter den Welfen nie gewesen war, eine Volksvertretung. Un-
aufhaltsam aber sank die Macht des Oberhauses, denn die Lords hatten
bisher einen großen Teil ihres Einflusses unmerklich, durch die Be-
herrschung der Volkswahlen und der Abstimmungen des Unterhauses
ausgeübt. Den verrotteten Wahlflecken verdankte das alte Haus der
Gemeinen den frischen Nachwuchs seiner jugendlichen Staatsmänner:
fortan war der Eintritt erschwert; an der Seltenheit der Talente, an
dem Sinken der Beredsamkeit ließ sich bald erkennen, daß die großen
Tage des englischen Parlamentarismus zu Ende gingen.
Neben den altgeschichtlichen Namen der Whigs und Torys kamen
bereits die unbestimmten festländischen Bezeichnungen: Liberale und Kon-
servative in Gebrauch; denn die beiden alten erblichen Adelsparteien zer-
splitterten sich bald nach französischer Weise in sechs Fraktionen, kleine
Meinungs= und Interessengruppen, die nur mühsam unter einen Hut
gebracht wurden. Der Führer dieses neuen Unterhauses gebot nicht mehr