Die Konservativen auf der Konferenz. 339
geradehin für unmöglich erklärte. In der Stille gewann seine dritte Ge—
mahlin Gräfin Melanie Zichy große Macht über den Alternden, eine
schöne, feurige junge Dame, die ihre streng legitimistische Gesinnung her—
ausfordernd zur Schau trug und durch ihr beleidigendes Betragen gegen
den französischen Gesandten zuweilen den Gatten selbst in Verlegenheit
brachte. Sie vergötterte ihren Clemens und hielt ihn für den Retter
der Welt; sie entdeckte sogar, was noch kein anderer Sterblicher bemerkt
hatte, eine auffällige Gesinnungsverwandtschaft zwischen ihrem Gemahl und
dem Apostel Paulus. Unter der Leitung dieser sanften Hände wurde
Metternich unvermerkt den klerikalen Ansichten näher geführt. Er gedachte
wieder mit Stolz seines Vorfahren, jenes trierschen Kurfürsten Lothar,
der einst die katholische Liga mitbegründet hatte, und aller der anderen
kirchlichen Erinnerungen seines alten Domherrengeschlechts. Obwohl er
das Weltkind des achtzehnten Jahrhunderts nie ganz verleugnen konnte,
so ließ er sich's doch wohl gefallen, daß jetzt statt des Kantianers Gentz
der Renegat Jarcke das Zepter schwang unter den Publizisten der Hof—
burg. Je mehr er sich in seinen hochkonservativen Anschauungen ver—
härtete, um so sichtlicher schwand auch jener Zauber bestrickender Liebens-
würdigkeit, dem er einst so große diplomatische Erfolge verdankt hatte. Der
schwerhörige alte Herr, der, allen Einwürfen unzugänglich, immer nur in
strengem Dozententone dieselben Gedanken wiederholte, verblüffte die Neu-
linge durch seine feierliche Würde, und niemand bestritt ihm den Ruhm
des Nestors der europäischen Diplomatie; zu gewinnen, zu überreden ver-
mochte er nur noch selten.
Unter allen Mitgliedern der Konferenz stand Ancillon der Hofburg
am nächsten. Wie stolz fühlte er sich, als er in die Versammlung ein-
trat und ihr salbungsvoll zurief: „die Augen von Deutschland und ganz
Europa sind auf uns gerichtet.“ Mit allgemeiner Verehrung wurde er
aufgenommen, denn von dem neuesten glänzenden Erfolge der preußischen
Politik, der Gründung des Zollvereins, fiel ein Widerschein auf sein un-
schuldiges Haupt zurück. Er blieb nur sechs Wochen in Wien, weil die
Amtsgeschäfte ihn heimriefen; die übrigen vier Monate hindurch vertrat
ihn, da man den der Hofburg so tief verhaßten Eichhorn nicht zu senden
wagte, der Geheime Justizrat Graf Alvensleben, ein tüchtiger Jurist von
gemäßigt konservativer Gesinnung, aber erklärter Anhänger Osterreichs
und darum von Wittgenstein dem Könige empfohlen.“') Die Wahl war
ein arger Mißgriff; denn als ein Beamter mittleren Ranges und streng
an seine Instruktionen gebunden, durfte Alvensleben nicht wagen, gegen
Metternich so selbständig wie vormals Bernstorff aufzutreten. Im übrigen
war Preußens Stellung durch ein fast unentrinnbares tragisches Ver-
hängnis vorgezeichnet. Wie einst die Hohenstaufen, eingepreßt zwischen
*) Frankenbergs Bericht, 1. Jan. 1834.
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