Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Achter Abschnitt. 
  
Stille Jahre. 
Seit der literarische Streit sich mit dem politischen verkettete, Dichtung 
und Philosophie von der Tendenz beherrscht wurden, stand unter den deut- 
schen Liberalen die Meinung fest, daß der Kampf der Freiheit wider die 
Knechtschaft, des Lichtes wider die Finsternis den ganzen Inhalt der neuen 
Geschichte ausmache. Der Gang der europäischen Politik, die zunehmende 
Spannung zwischen dem Westen und dem Osten des Weltteils schien 
diese Ansichten zu bestätigen. Die Stärke unserer Kultur liegt aber in dem 
beständigen Wechsel ihrer mannigfaltigen Interessen, Ideen und Macht- 
verhältnisse. Immer war es nur ein Zeichen verschrobener, unhaltbarer 
Zustände, wenn einmal ein einziger kahler Gegensatz, wie im Zeitalter 
der Religionskriege, die Parteiung dieser vielgestaltigen Staatengesellschaft 
bestimmte. Nun gar der Gegensatz von Ost= und Westeuropa, der jetzt 
von nahezu allen Parteien als eine historische Notwendigkeit angesehen 
wurde, bestand in Wahrheit nicht; er beruhte wesentlich auf der Einbildung, 
auf den formalen Lehrsätzen konstitutioneller und absolutistischer Theorien, 
welche die lebendigste Kraft des Jahrhunderts, den Drang nach nationaler 
Staatenbildung, völlig verkannten. Doch diese Doktrinen beherrschten und 
betörten die Welt — denn nichts ist sicherer, als die niederschlagende 
Wahrheit, daß die öffentliche Meinung ganzer Zeitalter sich im Irrtum 
bewegen kann — und weil die Zeit im Doktrinarismus befangen war, darum 
konnte Palmerstons kaufmännisches Geschick die Wirren auf der pyrenäischen 
Halbinsel, die für Europa so wenig bedeuteten, als willkommene Hand- 
habe benutzen, um das Festland beständig in Unruhe zu halten, die Kluft 
zwischen dem Osten und dem Westen arglistig zu erweitern. 
In Portugal regierte, nachdem das Tochterland Brasilien sich von 
dem Mutterlande losgerissen hatte, die minderjährige Tochter des brasili- 
anischen Kaisers Pedro, Maria da Gloria. Aber ihr Oheim Don Miguel, 
der für sie die Regentschaft führen und dereinst ihr Gatte werden sollte, 
bemächtigte sich selbst der Krone (1828), und nun brach über das Land 
ein klerikales Schreckensregiment herein, das selbst die Greuel der spani- 
schen Reaktion noch überbot. Der fanatische, rohe, halbtierische Wüterich
	        
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