504 IV. 8. Stille Jahre.
Hellenen fast gleichkam; die brütende Wildheit des Volkes der Autodafés
und der Stiergefechte entlud sich noch einmal. Die Tausende liberaler
Flüchtlinge, welche König Ferdinand einst in die Fremde getrieben, fochten,
jetzt heimgekehrt, Mina voran, unter den Fahnen der Cristinos und
kühlten den alten Haß im Blute der Karlisten. Die Klöster versilberten
ihre unermeßlichen Schätze zum Besten des katholischen Königs, bis der
Tauschwert der Edelsteine auf dem Amsterdamer Diamantenmarkte durch
das übermäßige Angebot gedrückt wurde. Hüben und drüben maßlose Wut
und die ganze Kunst romanischer Verlogenheit: wenn man den Kriegsbe—
richten der Cristinos Glauben schenkte, so waren in vier Jahren schon
mehr Carlisten getötet worden, als das gesamte Baskenland an Ein—
wohnern besaß.
Da die stille Zeit sonst an aufregenden Ereignissen nichts bot, so
warf sich der verhaltene Parteihaß der Nachbarvölker auf diese scheußlichen
Kämpfe, die dem Leben Mitteleuropas doch ganz fern lagen. Mit Eifer
verschlang man die Märchennachrichten aus den Pyrenäen, jeder Liberale
mußte sich für die Cristinos erklären. Als endlich, nach beschämenden
Niederlagen, der glückliche Espartero die Truppen der Königin zum Siege
führte, da wurde dieser zweifelhafte Held von den gesamten Liberalen
Europas so überschwenglich gepriesen, wie einst Bolivar oder Riego; zu—
mal in Deutschland schlug die fremdbrüderliche Begeisterung wieder hohe
Wellen. Mancher liberale kursächsische Lehrer quälte seine armen Buben,
die von Dennewitz und der Katzbach kein Wort erfuhren, mit den unaus-
sprechlichen Namen aller der Schlachtfelder, auf denen der unvergleichliche
Herzog von Victoria gesiegt haben sollte.
Aber auch Don Carlos fand warme Verehrer, an den Höfen, unter
dem Adel, überall wo die weitverzweigte internationale Legitimistenpartei
ihre Genossen hatte. Moritz von Haber, ein Sohn des einflußreichen jüdi—
schen Hofbankiers in Karlsruhe, diente ihm als Geschäftsreisender. Aus
allen Ländern eilten ihm Freiwillige zu, darunter manche, die sich dereinst
noch einen Namen machen sollten. Aus Frankreich kam Bazaine, aus Öster-
reich der abenteuernde Prinz Schwarzenberg, der sich selbst „den Landsknecht“
nannte, aus Deutschland der Militärschriftstellervon Rahden. Auch den feu-
rigen jungen Augustvon Göbenlittes nicht länger in der friedlichen Garnison
zu Neu-Ruppin; Tatendurst, royalistische Begeisterung und einleidenschaft-
licher Haß gegen England trieben ihn hinaus in das Heer der Carlisten, woa
er, vom Unglück ebenso beharrlich verfolgt wie späterhin vom Glücke, unter
namenlosen Kämpfen und Leiden schon die Heldengröße des künftigen Feld-
herrn bewährte. Am meisten Aufsehen erregte der schöne, übermütige
Wildfang Fürst Felig Lichnowsky. Der hatte unter den Berliner Damen,
nebenbei auch unter den Juwelieren und Pfandleihern so ungewöhnliche Ver-
heerungen angerichtet, daß er sich in der Armee nicht mehr halten konnte.
Umsonst versuchte Prinz Wilhelm ihm eine Stelle in der preußischen