Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

508 IV. 8. Stille Jahre. 
lution.*“) Als Thiers in lärmender Rede verlangte, Frankreich müsse sich 
überall mit konstitutionellen Staaten umgeben, da war der König über 
seinen kriegslustigen Minister kaum minder entrüstet als Ancillon, der 
zornig ausrief: „dieser Mensch hat von neuem das Banner der Propa— 
ganda aufgepflanzt!**) Ludwig Philipp ruhte nicht, bis Thiers beseitigt 
war, und ließ nachher durch seinen Kronprinzen dem Wiener Hofe ver— 
sichern: selbst wenn er noch zwanzig Ministerwechsel überstehen müßte, 
würde er sich doch nicht in das spanische Abenteuer stürzen. Je dreister 
die Radikalen in Madrid ihr Haupt erhoben, um so höher stieg sein Miß— 
trauen gegen die Cristinos und ihre englischen Gönner. Metternich hielt 
ihn schon für ganz bekehrt und ließ in den Tuilerien vertraulich anfragen, 
ob es nicht endlich an der Zeit sei, das salische Gesetz und Don Carlos 
offen anzuerkennen.*) Auch die Gesandten der Kleinstaaten, die in der 
großen Politik immer nur läuten, aber nicht zusammenschlagen hörten, 
sagten jetzt mit gewichtiger Amtsmiene: „Ludwig Philipp istbekanntlich für 
Don Carlos.“)Einen solchen Gesinnungswechsel konnte der Thron- 
räuber freilich nicht wagen; indes bemühte er sich angelegentlich um das 
Vertrauen der beiden deutschen Großmächte. Er begann mit Metternich 
einen geheimen Briefwechsel und beteuerte, nicht immer sehr würdevoll, 
seine guten Absichten, wofür ihn der Osterreicher mit weisen Ermahnungen 
belohnte. „Ich will nichts von Herrn Thiers wissen“, sagte er zu dem 
österreichischen Geschäftsträger Hügel, „nichts von diesen amerikanischen 
Ideen, welche Europa vergiften; wenn mich nur Preußen und Osterreich 
kräftiger unterstützten, so könnte ich viel mehr für die Sache der Ordnung 
tun.“ Die Diplomaten sahen bald, wie merklich diese commérage poli- 
tique der beiden alten Herren auf die Gesinnungen des Bürgerkönigs ein- 
wirkte, und Ancillon freute sich herzlich, daß Ludwig Philipp an Metternich 
„einen solchen politischen Prediger gefunden habe: ein wohltätiges Phä- 
nomen in der Geschichte der Diplomatie!“ ) 
In Wien und Berlin wurden die Beteuerungen der Orleans mit 
herablassendem Wohlgefallen aufgenommen, sie verstärkten nur den Un— 
willen über Palmerstons ruheloses Wühlen. „Während man in Frankreich 
die Staatsgewalt zu befestigten sucht“ — meinte Ancillon — „betreibt man in 
England offen, ohne Scham und Reue, die Revolution.“ Als Palmerston 
einmal (1835), in einem Augenblicke der Verlegenheit versuchte, sich durch 
die Vermittlung des Königs Leopold von Belgien den deutschen Mächten 
  
*) Maltzans Bericht, 3. Juni 1835. 
**) Ancillon, Weisung an Brockhausen, 18. Dez. 1834. 
*:7"*) Maltzans Bericht, 31. Mai 1836. 
#) So der hannöversche Gesandte v. Münchhausen in Berlin (Bericht v. 28. Sep- 
tember 1837). 
#—4) Berichte von Maltzan, Sept. 1837; von Werther, 18.Okt.; Ancillon an Maltzan, 
10. Febr. 1837.
	        
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