568 IV. 8. Stille Jahre.
gescholten. Jetzt konnten sie mit einigem Scheine behaupten, dies edle
Unternehmen evangelischer Freiheit sei im Grunde nur ein Werk der Ge—
wissenstyrannei. Das Wachstum der Union war auf lange Zeit hinaus
gehemmt. Als die Tage der schlimmsten Quälerei überstanden waren, faßte
sich der Kronprinz endlich ein Herz und verlangte im Staatsministerium,
von Mühler unterstützt (1839): den Sektierern müsse „eine Art Anerken—
nung“ gewährt werden; verleihe man dann der evangelischen Kirche selbst
größere Freiheit, so werde „dies Irrwesen bald in sich verfallen“.“) Aber
solange der alte Herr lebte, war an keine Änderung zu denken.
Wie ward dem frommen Steffen zu Mute, als er um diese Zeit
(1837), noch tief erschüttert von dem Abschied seiner lutherischen Glaubens-
genossen, das Land Tirol bereiste, und ihm droben in den Alpen ein
anderer Auswandererzug begegnete, mit hochbeladenen Wagen, Männer,
Weiber und Kinder, über vierhundert Köpfe, auch zwölf steinalte Leute von
mehr als siebzig Jahren zogen mit. Es waren die protestantischen Ziller-
thaler, die letzte Glaubenskolonie der Hohenzollern; ein tapferer Bauer,
Johann Fleidl führte sie an. Die österreichische Regierung hatte ihnen
den Aufenthalt in dem Lande der Glaubenseinheit nicht mehr gestattet, weil
die fanatische Klerisei den ehrenfesten Lutheranern unheimliche sektiererische
Ausschweifungen andichtete, und sie endlich aufgefordert, ihren Wohnsitz in
ein anderes Kronland, etwa nach Siebenbürgen, zu verlegen. Daß Tirol
deutsches Bundesland war, kam in Wien natürlich nicht in Betracht; auch
der Bundestag verlor kein Wort über die offenbare Verletzung des Art. 16
der Bundesakte, und kein deutscher Publizist warf die Frage auf, ob dies
OÖsterreich mit seinen Sonderrechten wirklich noch zu Deutschland gehöre.
Unter den Evangelischen des Hochgebirges aber hatte der preußische Name
noch von den Zeiten der Salzburger Emigranten her einen guten Klang;
nach dem nahen Bayern wollten sie nicht ziehen, weil sie der ultramon-
tanen Gesinnung des Münchner Hofes mit Recht mißtrauten. Die
Zillerthaler wendeten sich an den alten König. Er verhandelte mit ihnen
durch seinen Hofprediger Strauß und bot ihnen dann eine neue Heimat
bei Schmiedeberg, am schönen Abhang des Riesengebirges, wo sie das
schönere alte Heim doch nicht so schmerzlich vermissen sollten.“*) Die Kosten
der Ansiedelung in dem dichtbevölkerten Schlesien stellten sich freilich
sehr hoch, fast fünfmal höher als die Zuschüsse, welche König Friedrich einst
seinen Kolonisten zu bewilligen pflegte. Die fromme, hochherzige Gräfin
Reden trat auf Friedrich Wilhelms Befehl an die Spitze eines Ausschusses,
der den Einwanderern über die böse Zeit des Überganges hinweghalf, und
nach Jahresfrist waren sie alle in den drei Dörfern des neuen Zillerthales
untergebracht, ein treues, arbeitssames und bei allem Glaubenseifer lebens-
—..
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 4. Febr. 1839.
**) Dönhoffs Berichte, 18., 28. Mai, 1. Juli 1837.