Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

50 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
Polignacs Geist gepriesen hatte. Schon am 2. Oktober, noch bevor jene 
Anfrage Bernstorffs eingetroffen war, beschloß das Kabinett, alle Groß- 
mächte, auch Frankreich, zu einer europäischen Konferenz einzuladen. 
Preußen und OÖsterreich stimmten zu. Der französische Hof erhob noch 
allerhand Schwierigkeiten; er verlangte die Sicherheit, daß auf keinen 
Fall eine bewaffnete Einmischung erfolgen dürfe, er schlug Paris zum 
Sitze der Konferenz vor; doch er fügte sich, als seine Zumutungen ein- 
mütig abgewiesen wurden, und man ward einig, die Versammlung nach 
London zu berufen. 
In solcher Lage kam das neue Hilfegesuch, das der König der Nieder- 
lande, diesmal an alle vier Mächte, abgehen ließ, offenbar zu spät. Der 
König verlangte sofortiges Einschreiten mit den Waffen und versicherte 
dem Zaren, dies sei mit dem europäischen Frieden vielleicht nicht unver- 
einbar. Preußen und England aber verwiesen ihn auf die Verhandlungen 
der Konferenzen; und in gleichem Sinne ward geantwortet, als der Oranier 
sich bald nachher zum dritten Male an Preußen wendete, um mindestens 
die Besetzung einiger Festungen zu erreichen.) Sein Gesandter, Graf 
Perponcher, hatte einen harten Stand; er war in Berlin ganz heimisch 
geworden, wurde vom Könige und den Prinzen als alter Freund be- 
handelt und mußte nun doch beständig Abweisungen erfahren; würdig 
und taktvoll behauptete er sich zwischen Bernstorff und Diebitsch, zwi- 
schen den liberalen Beamten und den kriegslustigen Offizieren. 
Und nun zeigte sich, was Friedrich Wilhelms feste und offene Hal- 
tung für den Weltfrieden bedeutete. Mit gutem Grunde sagte Lord 
Heytesbury in Petersburg zu General Schöler: „Ihre Regierung ist die 
vernünftigste von allen,“ und desgleichen Nesselrode: „die besonnene Politik 
Ihres Königs ist das einzige, worauf Europa noch seine Hoffnung bauen 
kann.“ Durch Preußen allein wurden die kriegerischen Pläne des Zaren 
in Schach gehalten. Nikolaus fand es entsetzlich, daß der König der Barri- 
kaden in den hohen Rat Europas eintreten solle; sein Diebitsch machte 
in Berlin den naiven Vorschlag, Frankreich dürfe nur zugelassen werden, 
wenn es sich verpflichte, die Verhältnisse Belgiens, wie sie vor der Re- 
volution bestanden, aufrecht zu erhalten — worauf Friedrich Wilhelm kurz- 
ab erwiderte: „dies wird niemals erreicht werden können.“ Aber ohne 
Preußen vermochte Rußland in diesem Handel nichts. Wie hart es ihm 
auch ankam, am 25 Oktober erwiderte Nikolaus dem Oranier: er selbst sei 
bereit, die verlangte Waffenhilfe zu leisten, doch sein vereinzeltes Auftreten 
würde nur schaden, die Verständigung mit den Großmächten könne allein 
noch retten. Sichtlich erleichtert schrieb Nesselrode, den die leidenschaft- 
lichen Vorsätze des Zaren schwer beängstigt hatten, nach Berlin: wenn alle 
  
*) König Wilhelm der Niederlande an Kaiser Nikolaus 2. Oktober. Perponcher 
an Bernstorff 6. Okt. Antwort 15. Okt. Kabinettsordre an Bernstorff 1. Nov. 1830.
	        
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