Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Der Telegraph. 587 
zu beiden Seiten der Bahn, kein lautes Wort ließ sich hören, so schreck— 
haft wirkte der unerhörte Anblick. Dann mußte „der Einschnitt“ bei 
Machern ausgeschaufelt werden, durch eine Bodenwelle, welche der Rei— 
sende heute kaum bemerkt; von weither kamen die Fremden, auch der 
länderkundige Frhr. von Strombeck, um das Wunderwerk zu betrachten und 
gründlich zu beschreiben. Der schwierigste Kunstbau der Bahn, der Tunnel 
bei Oberau, wurde durch Freiberger Bergleute ganz nach Bergmanns- 
brauch wie ein Stollen von vier niedergesenkten Schachten aus in An- 
griff genommen; als alles beendet war, bildeten die Knappen in ihrem 
Paradeanzug, mit Fackeln in der Hand, im Tunnel Spalier, um den 
ersten durchbrausenden Zug mit dem alten Glückauf-Ruf des Erzgebirges 
zu begrüßen. 
„Die Herrschaft des Geistes über die materielle Welt schreitet mit 
einer stets beschleunigten Kraft vorwärts“, so schrieb damals Babbage, der 
Theoretiker des englischen Maschinenwesens. Ein technischer Fortschritt 
folgte dem andern. Im Jahre 1839 brachte Hossauer das erste Daguer- 
reotyp aus Paris in den Berliner Gewerbeverein; es war der bescheidene 
Anfang einer neuen kulturfördernden Industrie. Die eigentümliche Wage- 
lust des Jahrhunderts trat immer zuversichtlicher auf, hoffnungsvoll sah 
das heranwachsende Geschlecht einer unermeßlichen Zukunft entgegen. Der- 
weil die Deutschen sich noch an ihrer ersten großen Eisenbahn abmühten, 
versuchte schon eine andere folgenschwere Erfindung, die deutsche Erfindung 
der elektro-magnetischen Telegraphie sich Raum zu schaffen. Das alte 
optische Telegraphenwesen hatte in Preußen während der jüngsten Jahre 
eine hohe Ausbildung erlangt. Auf eine Anfrage aus Berlin traf die 
Antwort aus Koblenz schon binnen vier Stunden ein, freilich nur bei 
hellem Wetter. Wenn das hohe Balkengerüste auf dem Turmhause 
in der Dorotheenstraße einmal den ganzen Tag hindurch ununterbrochen 
seine rätselhaften Bewegungen ausführte, dann meinten die Berliner be- 
denklich, die Zeiten würden schlimm. Aus Petersburg konnten die Nach- 
richten durch den Telegraphen und durch Kuriere in fünfzig Stunden be- 
fördert werden, und man hoffte noch auf größere Beschleunigung, da der 
Zar soeben bei Fraunhofer in München 450 Fernröhre für die russischen 
Telegraphen bestellt hatte. Aber der optische Telegraph diente ausschließlich 
den Behörden. Ein rascher Nachrichtendienst für den allgemeinen Gebrauch 
ward erst möglich, als der junge Wilhelm Weber nach Göttingen kam 
und Gauß entzückt ausrief: der Stahl schlägt auf den Stein. Der Phy- 
siker und der Mathematiker verfolgten selbander die geniale Entdeckung 
Soemmerings weiter"); sieverbanden den lektro-magnetischen Apparatihrer 
Sternwarte durch einen 3000 Fuß langen Draht, über den Turm der 
Johanniskirche hinweg, mit dem Physikalischen Kabinett (1833). Ein echt 
  
*) S. o. II. 83.
	        
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