Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Leipzig-Dresdner Eisenbahn. 589 
Lebens mitteninne zu wirken. Ihnen fällt meist ein tragisches Los. Wie 
einst seinen Genossen in der württembergischen Kammer, so wurde List 
auch dem Leipziger Eisenbahn-Komitee bald lästig. Die Männer des Komitees 
waren durchweg tüchtige, und keineswegs engherzige Geschäftsleute, aber 
sie dachten zunächst an die Interessen ihrer guten Stadt, und wenn List 
in den Generalversammlungen von der großen Eisenbahn Prag-Hamburg 
zu reden begann, so befürchteten sie, nicht mit Unrecht, er werde die ängst- 
lichen Philister abschrecken. Der frohmutige Mann bot, wenn er mit 
mächtigem Lachen seinen Löwenkopf schüttelte, ein Bild urkräftigen Be- 
hagens; doch zuweilen überfiel ihn eine furchtbare Hypochondrie, und dann 
war mit seiner unbändigen Grobheit kaum auszukommen. Also schob 
man ihn leise zur Seite und fand ihn ab mit einem Ehrengeschenke von 
etwa 4000 Tlr., ohne ihm auch nur einen Anteil an den Aktien zu 
gewähren. Die braven Leipziger Kaufleute glaubten damit durchaus nicht 
kleinlich zu handeln; verfuhren sie doch selber höchst uneigennübtzig, ihre 
vier Direktoren bezogen 750 Tlr. Gehalt, ihr Präsident 1500. Jenem 
Engländer freilich, der ihnen den Weg durch die Ebene empfahl, zahlten 
sie für seine kurze Reise fast 7000 Tlr.; denn daß ein Brite höher ge- 
lohnt werden müsse als ein Deutscher, bezweifelte in diesen fremdbrüder- 
lichen Tagen niemand. Wieviel Unfug stiftete doch die deutsche Auslän- 
derei auch im Eisenbahnwesen an. Nur aus Nachahmungslust wurde die 
allzu schmale Spurweite der Stephensonschen Bahn von der Leipzig- 
Dresdner Gesellschaft und nachher, zum Schaden für die Nerven der 
Reisenden, auch von den anderen deutschen Bahnen angenommen. Und 
welche Flut von französischen oder französisch klingenden Wortungetümen 
drang jetzt in unsere Sprache ein, die doch gerade hier ihre schöpferische 
Kraft erproben konnte. Die Deutschen hatten im Eisenbahnwesen von 
den Franzosen nichts zu lernen, sondern schritten ihnen voran; und doch 
redeten sie von der Kompagnie, ihren Billett-Expeditionen und Konduk- 
teuren, von Perrons, Waggons, Coupés und Extra-Convois; es war leider 
die Zeit, da das Junge Deutschland die Zeitungssprache von Grund aus 
verfälscht hatte. 
Unerbittert durch seine Leipziger Erfahrungen arbeitete List rastlos 
weiter. Er gründete ein Eisenbahn-Journal, das sich freilich nicht lange 
halten konnte, weil es in OÖsterreich verboten wurde, und zwang durch 
sein Beispiel die Presse, auf die so lange vernachlässigten volkswirtschaft- 
lichen Fragen gründlich einzugehen. Um seiner Bahn die Fortsetzung nach 
Norden zu sichern, begab sich List 1835 nach Magdeburg, und die Kauf- 
mannschaft, die erst vor sechs Jahren alle Eisenbahnpläne abgewiesen 
hatte, nahm ihn jetzt mit offenen Armen auf; allen voran der wackere 
Oberbürgermeister Francke, einer der angesehensten Bürger der Monarchie, 
denn wie im Süden die Abgeordneten, so galten im Norden die Gemeinde- 
beamten, Kospoth in Breslau, Bärensprung in Berlin, Demiani in Görlitz,
	        
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