596 IV. 8. Stille Jahre.
gierung in einer Person“, und der Frankfurter Senat erließ ein, wie du
Thil sagte, „haarsträubendes“ Expropriationsgesetz, das den Grundbesitzern
eine viermal höhere Entschädigung gewährte als das hessische. Als die
Taunusbahn endlich eröffnet war, wurde sie gut verwaltet; sie verlangte
aber unbillige Preise, die höchsten in Deutschland. Umsonst versuchte du
Thil den Unfug abzustellen. Er scheiterte an dem Widerspruche Frank—
furts; „denn in dieser Republik“, so sagte er schwermütig, „ist es einge—
führt, daß stets eine Hand die andere wäscht, und überdies waren zu viele
Senatoren beteiligt.“*) Diese Frankfurter Erfahrungen blieben in Baden
unvergessen. Dori berief die Regierung eine Notabeln-Versammlung, um
über den Plan einer Eisenbahn von Mannheim nach Basel zu beraten.
Der Gedanke fand Anklang und Nebenius erwies den Notabeln in einer
trefflichen Denkschrift, die auch den anfangs widerstrebenden Finanzminister
Böckh überzeugte, daß der Staat, um den Aktienschwindel und den Ein—
fluß der Börse fernzuhalten, die Bahn selber bauen müsse. **) Es war
das erste Programm des deutschen Staats-Eisenbahnwesens.
Die Größe der beginnenden sozialen Umwälzung ließ sich am sicher—
sten daran erkennen, daß schlechterdings niemand ihre Folgen genau vor—
hergesehen hatte. Nicht bloß der Gesamtverkehr wuchs über alle Vor—
hersagungen hinaus; hatten doch selbst mutige Männer höchstens gehofft,
die Eisenbahnen würden den Chausseen etwa ebenso weit überlegen sein
wie diese vormals den alten Landwegen. Auch im einzelnen kam fast
alles anders, als die klügsten Leute erwarteten. Der Betrieb der Eisen—
bahnen war unzweifelhaft ein Monopol, und jener Paragraph des preu—
ßischen Eisenbahngesetzes, welcher auch anderen, nicht zur Gesellschaft Ge—
hörigen den Transport gestatten wollte, erwies sich sogleich als ein toter
Buchstabe. Die Güter brachten mehr ein als die Personen, der Lokal—
verkehr mehr als der große, die dritte Wagenklasse mehr als die beiden
ersten zusammen; und wie verwundert hatte man noch vor kurzem dem
wackeren Friedrich Harkort zugehört, als er voraussagte, der kleine Mann
würde die Eisenbahnkassen füllen wie den Steuersäckel, schon um Arbeits—
lohn zu gewinnen, das Fußwandern aufgeben. Die Gewerbsstraßen trennten
sich nicht ab von den Kriegsstraßen, wie Aster fürchtete, sondern sie zwangen
den Krieg, ihren Bahnen zu folgen. Auch der Pferdebestand nahm nicht
ab, wie jedermann glaubte; sondern die Deutschen erfuhren, daß in einem
fleißigen Volke jedes befriedigte Bedürfnis neue Bedürfnisse in unendlicher
Folge weckt: die Nebenstraßen beschäftigten fortan mehr Pferde als früher
die Hauptstraßen.
Nun da die Macht des Raumes überwunden ward, begann die Welt
auch erst den Wert der Zeit zu schätzen, ja zu überschätzen. Ein hastiges,
*) Nach du Thils Aufzeichnungen.
**) Otterstedts Bericht, 23. Dez. 1837.