598 IV. 8. Stille Jahre.
nun, rasch erstarkend, den Lehrer zur Seite. Große Fabriken entstanden,
die den Bahnen ihre Wagen und Maschinen bauten. In Berlin gründete
der junge Schlesier Borsig, nachdem er eine Zeitlang die Eisengießerei
der Firma Egells geleitet, eine Maschinenfabrik für den Bau von Loko—
motiven; mit 50 Arbeitern begann er, nach wenig Jahren beschäftigte
er ihrer schon tausend; er wußte, daß dem Mutigen die Welt gehört.
In Nürnberg erweiterte sich die kleine Wagenbauanstalt der Fürther
Eisenbahn zu der großen Fabrik von Klett und Cramer. Ein neuer
Stand von Ingenieuren und Eisenbahntechnikern kam empor, sehr reich
an Talenten, unternehmend, stolz im Bewußtsein einer großen Kultur—
aufgabe. Es war eine schöne friedliche Arbeit nationaler Befreiung; erst
im nächsten Jahrzehnt sollte sie ihre ganze Stärke offenbaren. —
Unter jeder großen Umgestaltung des sozialen Lebens müssen einzelne
Klassen und Gewerbe unfehlbar leiden. Eben in diesen hoffnungsvollen
ersten Jahren des Zollvereins und der Eisenbahnen bekundeten sich schon
die Anzeichen des beginnenden Massenelends. An dem allgemeinen Auf—
schwunge der Volkswirtschaft nahm auch das Kleingewerbe teil. Doch
nur die Zahl der Gehilfen wuchs beträchtlich, die der Meister wenig; ein
selbständiges Geschäft zu behaupten ward bei dem verschärften Wettbewerbe
immer schwieriger. Die Kleingewerbe der Seifensieder, der Gerber, der
Töpfer, der Handschuhmacher gingen schon zurück, weil sie den Kampf mit
den großen Fabriken nicht aushalten konnten. Die Berliner Stadtver-
ordneten klagten, daß die Kosten ihrer Armenverwaltung in den Jahren
1821—38 von 104 000 auf fast 374 000 Tlr., weit schneller als die
Bevölkerung, gestiegen seien. Während die höheren Stände den ärmlichen
Gewohnheiten der Kriegsjahre nach und nach entwuchsen, lebte der kleine
Mann kaum besser denn zuvor; in vielen großen Städten nahm die
Fleischverzehrung durchschnittlich ab. Das Wachstum der Städte ver-
half manchem Hausbesitzer plötzlich zu Reichtum, doch die Mieten, vor-
nehmlich die kleinen Wohnungen, wurden unerschwinglich. Großen Talen-
ten, wie Borsig, eröffnete die junge Großindustrie eine glänzende Laufbahn;
der Durchschnitt der Arbeiter aber befand sich in hilfloser Lage. Der neue
Stand der Fabrikanten, der sich soeben erst selbst seine Stellung in der
aristokratischen alten Gesellschaft erobert hatte, gebrauchte seine Macht noch
mit der ganzen Rücksichtslosigkeit des Emporkömmlings. Es waren die
Tage, da die englischen Fabrikanten sich in ihren Versammlungen gegen
ihre Arbeiter geradezu verschworen, einen höchsten Satz für den Arbeits-
lohn, einen niedersten für den Preis der Waren untereinander verab-
redeten. Die durch Ricardo und Say im Geiste der reinen Kapitalsherr-
schaft weitergebildete Lehre Adam Smiths herrschte noch überall; das Elend