Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

676 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. 
überall, wo Kammern tagten, in Kassel, Dresden, Darmstadt, Stuttgart, 
Braunschweig, bekundeten sie ihre Entrüstung über den Staatsstreich; beson- 
deres Aufsehen erregte eine Rede des Darmstädter Abgeordneten Glaubrech, 
der treffend ausführte: wenn Ernst August die Landesverfassung aufheben 
dürfe, dann könne er sich auch vom Deutschen Bunde ungestraft lossagen. 
Zwei Jahre hindurch spielten diese hannöverschen Verhandlungen in den 
deutschen Landtagen eine ähnliche Rolle, wie die Polendebatten in den Pariser 
Kammern. Unnmittelbar bewirkten sie nichts; die Reden des sächsischen 
Landtags gab ein Patriot heraus mit dem stolzen Vorwort: „Sachsen ist 
nicht zurückgeblieben, aus den Sälen der Volksvertreter tönen weithin 
durch Deutschlands Gauen die Riesenklänge innigen, tiefen Mitgefühls.“ 
Immerhin ertönten die Riesenklänge so stark, daß die konstitutionellen 
Fürsten kaum noch eine Wahl hatten. Mit Ausnahme des hessischen Kur— 
prinzen und des Braunschweiger Welfen gelangten sie alle zu der Einsicht, 
daß dieser Skandal nicht zu dulden sei. König Ludwig schwankte keinen 
Augenblick. Wie stark sich auch seine politischen Ansichten geändert hatten, 
über die Unverbrüchlichkeit der Staatsgrundgesetze dachte er noch ganz so, 
wie einst als Kronprinz. Gerade weil es ihm selber jetzt hart ankam, seine 
wenig geliebte Landesverfassung zu halten, verlangte er auch von seinen 
fürstlichen Genossen die gleiche Selbstüberwindung. Unter den württem— 
bergischen Staatsmännern waren die Ansichten geteilt. Graf Bismarck, 
der Gesandte in Karlsruhe, schrieb seinem alten Freunde Schele sehr zärt— 
lich, und der Hannoveraner dankte ihm für seine „Teilnahme an unserer 
guten und heiligen Sache“.*) Indes König Wilhelms gesunder Verstand 
ließ sich nicht irre machen; er sagte zu du Thil halb ärgerlich: „Jeder ist 
sich selbst der Nächste, ich kann nicht anders handeln,“ und nachdem er 
seinen Entschluß gefaßt, trat er sehr nachdrücklich auf. Auch der König 
von Sachsen wollte von dem Verfassungsbruche nichts hören; er reiste 
plötzlich nach Dalmatien, um nur nicht bei den preußischen Manövern 
mit dem Welfen zusammenzutreffen. Blittersdorff fühlte lebhaft, daß alle 
Hambacher Reden den Regierungen nicht so viel schadeten wie die hannö- 
versche Sache, und sprach diese Ansicht in einem Rundschreiben an die 
badischen Gesandtschaften unzweideutig aus. Zur Strafe bekam der badische 
Gesandte Frankenberg „einen Tatzenschlag“ des Welfen zu fühlen; von 
Berlin herübergekommen, mußte er in Hannover mehrere Tage warten, 
bis man ihn zur Antrittsaudienz zuließ.““) Auch du Thil konnte sich, wie 
gründlich er auch die liberalen Professoren verabscheute, doch nicht geradezu 
für den Staatsstreich erklären. Also waren die Staaten, welche den Zoll- 
verein stützten, im wesentlichen einig, und wenn Preußen die Bundes- 
politik der Hofburg und der Welfen ebenso entschlossen zu bekämpfen 
*) Bismarck an Schele, 22. Jan.; Antwort 29. Jan. 1838. 
*.) Blittersdorff, Weisungen an Frankenberg, Januar 1838; Frankenbergs Bericht, 
1. März 1838. 
 
	        
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