Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

680 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. 
Märchen zu erkennen, indessen fühlten sie alle heraus, daß Hannover ihnen 
keinen reinen Wein einschenkte; auch die wiederholten Schimpfreden wider 
„den konstitutionellen Schwindel der heutigen Zeit“ konnten die süddeut- 
schen Höfe nur beleidigen. Stüve widerlegte die Denkschrift Falckes durch 
einen trefflichen Aufsatz im Hannöverschen Portfolio. 
Doch was galten hier Gründe? Die Mehrheit war entschlossen, den 
Welfen nicht preiszugeben, weil er sonst in eine ganz unhaltbare Stellung 
geraten müsse. Als endlich abgestimmt wurde, da beschlossen am 5. Sept. 
zehn Stimmen gegen sechs, dem bayrischen Antrage „keine Folge zu geben“, 
sie sprachen aber zugleich die Erwartung aus, daß König Ernst August 
mit seinen Landständen noch eine Vereinbarung treffen werde. Mit der 
Mehrheit stimmten außer den Großmächten und den beiden welfischen 
Höfen Kurhessen, Holstein, Luxemburg, Mecklenburg und die zwei Kurien 
der Allerkleinsten, die unter der Führung des getreuen Leonhardi gewöhn- 
lich mit Osterreich gingen. In der Minderheit standen: Bayern, Sachsen, 
Württemberg, Baden, die Ernestiner und die freien Städte. Nur Hessen- 
Darmstadt versuchte mit einem Vermittelungsantrag mitten durch zu gehen. 
Die Verhandlungen waren für Hannover wenig schmeichelhaft; selbst der 
österreichische Gesandte konnte nicht umhin einzugestehen, daß „auch sehr 
ehrenwerte Gesinnungen“ sich für das Staatsgrundgesetz aussprächen. 
Der Beschluß selbst lautete so unverfänglich wie möglich, er sagte kein Wort 
der Billigung für die Taten des Welfen, denn dazu wollte sich niemand 
verstehen. 
Wie man sich auch drehen und wenden mochte, die furchtbare Tat- 
sache blieb doch bestehen, daß der Bundestag sich pflichtwidrig geweigert 
hatte, das ganz unzweifelhafte Recht eines deutschen Landes zu beschützen. 
Von einer solchen Schmach konnte die längst entwürdigte deutsche Zentral- 
gewalt sich nicht mehr erholen; die „Inkompetenz-Erklärung des Bundes- 
tags“, wie das Kauderwelsch der Zeitungen sagte, blieb fortan der Lieb- 
lingsstoff für alle Unzufriedenen. Und an diesem schweren Unrecht war 
Preußens Regierung mitschuldig. Sie hatte, ihre eigenen Grundsätze, ihre 
natürlichen Bundesgenossen verleugnend, zusammengewirkt mit den alten 
Feinden ihrer Handelspolitik und also die köstliche Gelegenheit versäumt, 
„das in Wahrheit verbündete Deutschland“, das einst Motz in dem Zoll- 
vereine geahnt hatte, zu befestigen und vor der Nation zu rechtfertigen. 
Was wollte es nach diesem verhängnisvollen Fehler bedeuten, daß Minister 
Werther sich tief verstimmt zeigte und ernstlich daran dachte, seinen Ab- 
schied zu verlangen? 
Der welfische Hof versäumte nicht, den Bundesbeschluß mit gewohnter 
Unredlichkeit auszubeuten. Er verkündete durch eine Bekanntmachung vom 
10. Sept., daß der Bundestag diese Verfassung von 1819 als zu Recht 
bestehend anerkannt habe. Gegen diese offenbare Lüge verwahrten sich 
wieder Bayern und die anderen Staaten der Minderheit in sehr heftigen
	        
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