Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

724 IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit. 
Preußen nicht zuzumuten, er sagte sanft: in diesem Punkte haben beide 
Teile recht.*') Offenbar schwankte er zwischen seinen, durch Fürstin 
Melanie genährten klerikalen Neigungen und seiner staatsmännischen Ein- 
sicht. Einen Bruch mit den Ostmächten konnte er unmöglich wünschen, 
und er wußte, daß Zar Nikolaus die Kirchenpolitik seines königlichen 
Schwiegervaters unbedingt verteidigte; auch graute ihm vor der Berserker- 
wut der Münchner Fanatiker und mehr noch vor den revolutionären 
Anschlägen des belgischen Klerus.“) Obgleich er, wie alle Söhne der 
rheinischen Domherrengeschlechter, die preußische Herrschaft in den Krumm- 
stabslanden tief verabscheute, so blieb er doch nüchtern genug, um die Zu- 
stände dort nicht allzu schwarz zu sehen. Die bayrischen Klerikalen hofften 
allesamt auf eine Schilderhebung der Rheinländer oder auf irgendein 
anderes großes Ereignis. Metternich urteilte kühler, und der Erfolg gab 
ihm recht. Die großen Ereignisse blieben aus, die provisorische Ver- 
waltung der beiden verwaisten Erzbistümer arbeitete ruhig weiter, die 
Krone Preußens stand unangreifbar da. 
Und doch ward durch diesen Bischofsstreit eine grundtiefe Verwand- 
lung des deutschen Parteilebens bewirkt. Seit die neue ultramontane Partei 
sich zusammenscharte, begann der süddeutsche Partikularismus sich zu ver- 
ändern. Bisher hatte er liberale Farben getragen; die alten Rheinbündler 
und nachher die Genossen der Rotteck-Welkerschen Schule sahen verächtlich 
hernieder auf das zurückgebliebene Preußen, aber auchauf das zurückgebliebene 
Österreich. Jetzt wurden plötzlich die halbverschollenen österreichischen 
Traditionen des deutschen Südens wieder lebendig; und wenngleich Metternich 
sich noch zurückhielt, so mußte doch früher oder später die Zeit kommen, 
da die Wiener Politik sich diesen Vorteil zunutze machte. Der erste Grund 
war gelegt für die großdeutsche Partei der kommenden Jahre. Auch in 
Preußen bereitete sich eine neue Parteibildung vor. Die rheinischen Juristen, 
die schon so lange für die Rechtsgleichheit des Code Napoleon stritten, 
meinten jetzt auch allein zu wissen, was wahre Kirchenfreiheit sei, und un- 
merklich begannen ihre belgischen Anschauungen den Liberalismus der öst- 
lichen Provinzen anzustecken. Das Schlimmste blieb doch, daß jedermann 
fühlte, die alte Regierung habe sich überlebt. Als Maltzan in Florenz 
mit Kardinal Capaccini die Kölnischen Händel besprach, sagte der Welsche 
mit eigentümlichem Lächeln: „Wir müssen also warten.“ 77) 
  
Ernst, fast düster schloß König Friedrich Wilhelms vielgeprüftes Leben. 
Beinah alle die reichbegabten Männer, die ihm einst bei der Erhebung und 
  
*) Geh. Kabinettsrat Müller, Aufzeichnung über eine Unterredung mit Fürst 
Metternich, Teplitz, 22. Juli 1838. 
**“) Maltzans Berichte, 21. Jan., 10. März 1839. 
*##) Maltzans Bericht, 6. Okt. 1838.
	        
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