Full text: Die Geschichte Württembergs.

178 III. Württemberg als Hergzogthum. 
Schenkwirth in Halle, ein eitler, charakterloser und unsittlicher Mensch, schlug zu- 
erst den frechen Ton an; ihm folgten der Pädagoge Basedow und der Berliner 
Buchhändler Nicolai, der Fabrikant des erbärmlichsten Pücherschunds. — Die 
allgemeine „Gesangbuchsverwässerunqg" drang auch nach Württemberg 
herein. G. F. Griesinger, Stadtpfarrer zu Stuttgart und Konsistorialrath, 
machte sich an die Arbeit und verstümmelte das Tafinger'sche Gesangbuch voll- 
ständig 1). Im neuen war die Tugend und Pflichtenlehre relchlich bedacht. Grie- 
singer meinte, „die alten Lieder selen durch Gebrauch abgenützt". Das ganze 
Land empörte sich gegen dieses Gesangbuch; in einzelnen Gemeinden wurde es 
mit militärischer Gewalt eingeführt. Unter der Hand wurde dann auch noch der 
seitherige Katechismus abgeschafft und an seiner Stelle der braunschwei- 
gische eingeführt. 
Während so die Aufklärung die höheren Kreise ergriffen hatte, war ein 
Theil des Volkes der neuen Richtung ferne geblieben. Manche fielen, erbittert 
durch das Sittenverderben, dem Separatismus zu, wie der Weber Rapp 
aus Iptingen, der mit 700 Personen nach Nordamerika auswanderte. Treu 
der Kirche blieben Michael Hahn (1758 —1819) aus Altdorf bei Böblingen 
und sein Anhang. Er hat in seiner Lehre „manches mit Jakob Böhme gemein, 
so die Lehre von der Schöpfung der Welt aus einem guten und bösen Prinziv, 
die Lehre von der ursprünglichen Vereinigung beider Geschlechter in einem Men- 
schen, von einem Sündenfall Adams, der in seinem Verlangen nach einer Ge- 
hilsin bestanden habe. Hauptsächlich betont Hahn die Lehre von der Heiligung. 
Die Anhänger seiner Lehre, Michaeltaner genannt, find sehr zahlreich in 
Württemberg; sie haben sich von der Kirche ebensowenig getrennt, als die 
Pregizerianer, so genannt nach dem Pfarrer Pregizer in Haiterbach, welche, 
alles Gewicht auf Taufe und Rechrtfertigung legend, im Glauben ihrer Seligkeit 
gewiß und selbstquälerischer Buße nicht bedürftig, ihrem Leben und Gottesdienste 
den Charakter der größten Heiterkeit und Fröhlichkeit aufprägten. 
Im sittlichen Leben wurde Württemberg in vielen Stücken ein Bild 
Frankreichs, da der Hof französische Sttten nachahmte. „Sogar auf dem 
Lande und in den kleineren Städtchen, wo doch sonst die gute alte Sitte, 
die Zucht und Tugend ihre Altäre erhalten, waren die sogenannten gebil- 
deten Stände schon inficirt von der weichlichen Liederlichkeit und Korruption, 
die sich über alle Bereiche des öffentlichen und geselligen Lebens erstreckten und 
die Bande der Familie bereits gelockert hatten. Das schlimme Beispiel von oben 
herab, wo Willkürherrschaft, Verschwendung, maßlose Wollust und schamlose 
Mätressenwirthschaft ihr Wesen ungescheut trieben und ein Heer ausländischer 
Abenteurer sich durch Speichelleckerei eindrängte, um sich vom Schweiß und 
Blute des Landes zu mästen, hatte auch unter den übrigen Ständen schlimme 
Nachahmung gefunden. Ein liederlicher, frivoler Ton riß ein; man lebte nur 
auf großen Wlderstand stieß, schrieb er: „Jeder möge es halten, wie er wolle; es steht 
Wu sot zu singen: nun ruhen alle Wälder! oder dergleichen dummes und thörichtes 
eug mehr.“ 
1) Die Aufklärung fand den Weg auch auf die Kanzeln. Mit welch' fadem 
Geschwätz wurden da die Zuhörer abgespeist! So behandelte z. B. ein Prediger am 
Cbristfest das Thema: „Was ist vortheilhafter, die Fütterung im Stall oder auf der 
Weide?“ Andere predigten über die Kuhpocken, die Schädlichkeit des Kaffees u. s. w.
	        
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