Full text: Die Geschichte Württembergs.

K. 49. Rückblick. Fortsetzung Kirche und Schule, Wissenschaften und Künste. 179 
dem Augenblick, dem umfassendsten Genuß; man drängte sich glerig zu den Festen 
am Hofe, die an Glanz und Pracht mit denen von Versailles und Trianon wett- 
eifern wollten. Religion und Moral waren alte Mythen, die man bespöttelte, 
— überwundene Standpunkte, die man sich an den Schuhen abgelaufen hatte, 
die zu bekennen und beachten der „Gebildete“ sich scheuen mußte. Kein Wunder 
daher, wenn bei einer solchen argen Verworfenheit auch die sittliche Kraft des 
Volkes und der ernste Wille zu passivem Widerstand verloren gieng. Gegenüber 
von dieser Armseligkeit unter den besseren Ständen war dagegen im Bürger= und 
Bauernstande ein anderer Geist aufgetaucht, — eine stille Duldung, christliche 
Resignation, welche die vorhandenen Landplagen als ein Strafgericht Gottes 
betrachtete, und sich daher schmiegsam unter diese Gelßel beugte, um dem herr- 
schenden Verderben durch Gebet und Fürbitte Einhalt zu thun und dem Einreißen 
der allgemeinen Verderbniß wenigstens dadurch entgegen zu arbeiten, daß man 
sich allenthalben in kleinen engeren Kreisen innerhalb der Gemeinden zusammen- 
schloß, in Versammlungen die heilige Schrift las und erforschte und durch ge- 
genseitiges Anlehnen an einander zu stärken suchte.“ — Die vielen Kriege, welche 
fremde Heere ins Land brachten, wirkten bedeutend auf das gesellige Leben 
ein. Die alte Biederkeit und offene Herzlichkeit wichen und machten dem 
„feinen Ton“ Platz, der sich in geschraubten Höflichkeitsformeln und in den 
lächerlich pedantischen Allongeperüken zeigte. Zur Zeit Ludwigs XVI. ließ man 
das natürliche Haar wieder lang wachsen, zwang es aber durch Puder und Po- 
made in die künstliche Perükenform und hieng ihm Zopf und Haarbeutel an. 
Der Rock, dessen Ermel man mit breiten und unbequemen Manchetten behieng, 
wurde zuerst zurückgeschlagen und wurde später zum Frack. Der weibliche Kopf 
wurde noch viel ärger durch fabelhafte hohe Frisuren entstellt, auch sonsten wurde 
eingezwängt oder aufgepufft. Mit der Nachahmung französischer Mode und 
Etikette gieng Schwelgerei und Ueppigkeit Hand in Hand; der Wohlstand des 
Landes nahm zusehends ab und die Bedürfnisse der Einzelnen stiegen. Was man 
hundert Jahre früher kaum kannte oder als Lurusartikel betrachtete, wurde jetzt 
absolut nothwendig. Es wurden daher häufig Verbote gegen den übermäßigen 
Aufwand bei Taufen, Hochzeiten, Leichen, Jahrmärkten und Kirchwelhen erlassen. 
Jene Zeit war viel lururiöser als die heutige; man denke nur an die silbernen 
Knöpfe, Schnallen, Beschläge, Ketten der Bauern und Handwerker, an die sll- 
bernen Humpen der Innungen, die massiven silbernen Tafelaufsätze der reichern 
Bürger! Aber die Verbote nützten wenig oder gar nichts; der Hof gab das 
Beispiel dazu. Hatte man die Hoffeste Eberhard Ludwigs bewundert, so setzten 
die des Herzogs Karl in Erstaunen. Eine Volkeklasse suchte es immer der 
nächst höheren nachzumachen. — Seit dem dreißigjährigen Krieg wurde auch 
das „Tabaktrinken“ immer allgemeiner in Württemberg, obwohl gegen diese 
„hochschädliche und gefährliche Sitte"“, die „auch bei gemeinen Leuten immer mehr 
zur Gewohnheit ward“, Reglerungsbefehle und Geistliche eiferten. Im Jahr 
1712 wurde das erste Kaffeehaus in Stuttgart errichtet. 
In den Universitäten und Schulen gieng im 18. Jahrhundert eine 
große Veränderung vor sich ). Man sieng bald nach dem dreißigjährigen Kriege 
an, Latein nicht mehr als eine zweite Muttersprache zu betrachten; die wahre 
— 
  
1) S. Raumer, Geschichte der Pädagogik, 2. Theil, S. 86 u. a. a. O. 
12“
	        
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