KP. 49. Rückblick. Fortsetzung. Kirche und Schule, Wissenschaften und Künste. 181
Pharus der Pädagogen. Seine Ideen zu verwirklichen, war das Streben Ba-
sedows in seinem „Philanthropin“ in Dessau, gestiftet 1774. „Der Zweck
der Erzlehung muß sein, einen Europäer zu bilden, dessen Leben so unschädlich, so
gemeinnützig und so zufrieden sein möge, als es durch die Erziehung veranstaltet
werden kann. Es muß also dafür gesorgt werden, 1) daß ihm wenig Verdruß,
Schmerz und Krankheit bevorstehe, 2) daß er sich zum aufmerksamen Genuß des
Guten gewöhne. Die Kunst aller Künste ist die Tugend und die Zufriedenheit.
In den Religionsstunden und Andachten wird mit keinem Worte und keiner That
etwas geschehen, was nicht von jedem Gottesverehrer, er sei Christ, Jude, Mu-
hammedaner oder Deist, gebilligt werden muß u. s. w.“ Der Unterricht in Fä-
chern, welche die äußere Anschauung betrafen, wurde gewaltig betrieben; aber für
gründlichen wissenschaftlichen Unterricht wurde wenig geleistet. Als Verdienst muß
jedoch dem Philanthropin die Abschaffung vieler Unnatürlichkeit bleiben. Man
denke sich die Schulknaben aus der Zeit des herrschenden französischen Geschmacks
mit fristrten, mit Puder und Pomade eingeschmierten Haaren, galonirten Röcken,
kurzen Beinkleidern, seidenen Strümpfen, mit einem Degen an der Seite! Und
dieser Zwangskleidung gegenüber die bequemsten Matrosenjacken und Beinkleider,
freien, ungeschnürten Hals, frel wachsendes Haar, dazu die freie Bewegung in
frischer Luft und körperliche Uebungen. Als weiteres Verdienst des Philanthropins
und seiner Anhänger gilt die Beschränkung der oft barbarischen Anwendung des
Stocks 1), der Hauptstütze einer gesegneten Wirksamkeit in jener Zeit. Im Phi-
lanthropin gieng man allerdings auf der andern Seite auch wieder zu weit; es gab
gar keine Strafen, sondern nur Belohnungen zum Anspornen des kindlichen Ei-
fers im Lernen und in der Ausübung des Guten. Dabei wurde leider auch die
Eitelkeit zu Hilfe gerufen. In ganz Deutschland wurden bald Erzlehungsanstalten
nach dem Muster des Dessauer Phllanthropins errichtet; noch mehr wirkten Ba-
sedow und seine Schüler durch Schriften, unter denen die „Kinderfreunde“ von
Weiße, der „Robinson“ von Lange und „Beispiele des Guten“ von Rochow
zu nennen sind. Der Geist der Aufklärungszeit brachte es mit sich, daß man nur
„Gottesverehrer" und „Weltbürger“ erziehen und bilden wollte. Seither war
der Deutsche ein Oesterreicher, Preuße, Bayer, Württemberger, kurzum alles, nur
kein Deutscher; oder war er Katholik, Lutheraner oder Calvinist. Jetzt, nachdem
ihm das neue Licht der Aufklärung im Kopfe aufgegangen war, durchbrach er
auf einmal die seitherigen religiösen und politischen Schranken und schwärmte
für die allgemeine Menschheit. So war er ein halber Kosmopolit und ein halber
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1) So lesen wir in den „Pädagogischen Unterhaltungen“, 3. Jahrgang, Folgen-
des: „Um diese Zeit starb Häuberle, Collega jubile#us, in Schwaben. Während der
51 Jahren 7 Monate seiner Amtoführung hat er, nach einer mäßigen Berechnung,
ausgetheilt: 911,527 Steckschläge, 124,010 Ruthenhiebe, 20,919 Pfötchen und Klapse
mit dem Lineal, 136,715 Handschmisse, 10,235 Maunlschellen, 7,905 Ohrseigen, 1,115,800
Kopfnüsse und 22,763 Notabenes mit Bibel, Katechismus, Gesangbuch und Grammatik.
777mal hat er Knaben auf Erbsen knieen lassen und 613 auf ein dreieckig Holz; 5,001
mußten Esel tragen und 1,707 die Ruthe hoch halten, einiger nicht so gewöhnlichen
Strafen, die er zuweilen im Falle der Noth aus dem Stegreif erfand, zu geschweigen.
Unter den Stockschlägen sind obngefähr 800,000 für lateinische Vokabeln, und unter den
Ruthenhieben 76,000 für biblische Sprüche und Verse aus dem Gesangbuch. Schimpf-
wörter hatte er etwas über 3,000, kavon ihm sein Vaterland ohngefähr / geliefert
hatte, ½5 aber von eigener Erfindung war.“