# 54. Köntg Wilhelm. Der Anfang seiner Regierung. Das Hungerjahr 1817 2c. 215
den Wiesen beinahe ganz verfault, so daß das Vieh schlechte und spärliche Nahrung
erhielt. Die Aussicht auf eine sehr geringe Ernte trieb die Preise der Lebensmittel
fürchterlich in die Höhe und der Zudrang von Wucherern steigerte dieselben noch
mehr. So kam es, daß im Frühling 1817 der Scheffel Kernen zu Riedlingen
48 fl., zu Göppingen 91 fl., zu Metzingen 96 fl. kostete; das Simri Kartoffeln
kostete 4 fl. — Es war eine jämmerliche Noth im Lande; die Armen nahmen zu
den unnatürlichsten Nahrungsmitteln ihre Zuflucht; nicht nur, daß man das
Leben mit Kleie und Mehlstaub fristete, es wurden Gras, Wurzeln und Heu ge-
kocht, Stroh und Sägspäue gemahlen, Pferde geschlachtet. Man sah in Städten
und Dörfern vir Menschen wie Leichen umherwandeln und unter ihnen Haufen
von Kindern, die nach Brot schrieen. Der Hunger und die ungesunde Nahrung
erregte bei den einen Siechthum, bei den andern Ausbrüche von Wahnsinn. Die
Noth zwang manchen zum Diebstahl.
Die Regierung that das Möglichste, um dem Elend zu steuern. Man
erhöhte die Ausfuhrzölle von Lebensmitteln und hob die Einfuhrzölle auf; man setzte
dem Wucher Schranken; aus den Rheingegenden und aus Holland wurde für mehr
als 3 Millionen Gulden Frucht herbeigeschafft; die in den öffentlichen Schrannen
aufgespeicherten Vorräthe wurden zu herabgesetzten Preisen verkauft; man sorgte
für die Bestellung der Saatfelder und für den Unterhalt bedürftiger Gemeinden
und gering besoldeter Beamten. Da aber diese vorsorglichen und streng durch-
geführten Maßregeln den ganz unvermögenden Klassen nicht helfen konnten, so
nahm sich die Königin Katharina derselben an. Den armen Kranken wur-
den Aerzte und Arzneien unentgeltlich zuthell. Speiseanstalten wurden einge-
richtet; man bot den Armen durch Beschäftigung Gelegenheft zum Verdienst.
Alle die verschiedenen Kräfte, welche im Lande zur Unterstützung der Armut und
Linderung der Noth wirksam waren, wurden unter die Oberaufsicht der Central-
leitung des Wehlthätigkeitsvereins gestellt, in welcher die Königin am
6. Jauuar 1817 selbst den Vorsitz übernahm.
Die Ernte des Jahres 1817 steuerte dem bittern Mangel. Der erste, be-
kränzte Erntewagen wurde mit innigem Dank gegen Gott und unter dem Lob-
gesang der Kinder und Erwachsenen in der Stadt und auf dem Lande eingeholt.
Die edle Landesmutter aber fuhr fort, segensreiche Anstalten zu stiften, welche nicht
bloß für das damallge, sondern auch für die kommenden Geschlechter eine große
Wohlthat waren und noch sind. Im Jahr 1818 wurde die Sparkasse er-
richtet, in welche hauptsächlich Arme ihre Ersparnisse (von 1 fl. an) einlegen kön-
nen und wo sie Zins aus Zinsen tragen. Schon vorher wurde die Kathari-
nenschule zur Erzlehung armer Mädchen errichtet, im Jahr 1818 das Katha-
rinenstift als Unterrichts= und Erzlehungsanstalt für die Töchter aus den ge-
bildeten Ständen. Um arme Witwen und Töchter von Beamten vor Hunger
und Kummer zu schützen, errichtete die Königin die Nattonal-Industrie-
Anstalt, ein Magazin zum Verkauf der von jenen gefertigten weiblichen Arbeiten.
.ZRasch wurde die Königin aus ihrer Wirksamkeit abgerufen. Sie starb
an der Gesichtsrose am 9. Januar 1819. Das Volk empfand den Verlust der
treubesorgten Fürstin schmerzlich; die Stadt Stuttgart gründete zu ihrem An-
denken das Katharinenhospital. Nach ihrem Wunsche wurde sie in der
don dem König zu diesem Zweck errichteten griechlschen Kapelle auf dem Rothen-
berg beigesetzt. Sie hinterließ dem König zwei Töchter, die Prinzessin