g. 54. König Wilhelm. Der Anfang seiner Regierung. Das Hungerjahr 1817 2c. 217
liche Verfassungsentwurf abgelehnt. Zwei Tage später, am 4. Juni, wurde die
Kammer aufgelöst und am nächsten Tag ein Manifest des Königs bekannt gemacht,
daß, wenn die Mehrzahl des Volkes durch die Amtsversammlungen oder durch die
Magistrate sich für die Annahme des Entwurfs ausspreche, der König den Ver-
fassungsvertrag für abgeschlossen ansehen und in Wirksamkeit treten lassen werde.
Andernfalls werde er aber dem Volke schon jetzt alle Wohlthaten des Verfassungs-
entwurfs, mit Ausnahme der landständischen Vertretung zutheil werden lassen.
Das Volk erklärte sein Einverständniß mit dem Reglerungsentwurf nicht.
Der König aber blieb dennoch seinem gegebenen Worte treu und gab seinen guten
Willen, die Wohlfahrt seines Volkes zu fördern, in mehreren Erlassen zu erken-
nen. So folgten im Lauf des Jahres 1817 Reskripte über die Wiederherstellung
der Landboten, die Organisation der Gemeindedeputirten, die Aufhebung der
Stammmiete, der Hundstare, der Accise von Viehweiden und Verminderung der
Stempelabgabe, Verordnungen gegen die Mißbräuche im Schrelbereiwesen u. s. w.
— Die bisherige theologische Studienanstalt in Ellwangen wurde als katholisch-
theologische Fakultät mit der Hochschule des Landes vereinigt und ein Konvikt,
das Wilhelmsstift, im ehemaligen Collegium illustre eingerichtet. Das
Priesterseminar wurde von Ellwangen nach Rottenburg verlegt; in Ehingen und
Rottweil wurden zwei niedere Konvikte errichtet und die Zahl der evangelischen
Seminarien wieder auf vier erhöht. Sein Hauptaugenmerk richtete „der Kö-
nig der Landwirthe“ auf die Pflege der Landwirthschaft. Es wurde ein
landwirthschaftlicher Verein gegründet, die Abhaltung des jährlich zu
Cannstatt (am 27. September) stattfindenden landwirthschaftlichen
„Volksfestes“ angeordnet, das land wirthschaftliche Institut in Hohen-
heim, die Wollenmärkte in Göppingen, Kirchheim, Eßlingen, Cannstatt
und Heilbronn errichtet.
Alle diese trefflichen Gesetze und Anstalten zeigten dem Volke genügend,
daß es sein Fürst gut mit ihm meine. Alle Vorurtheilsfreien sahen ein, daß
man durch eigenstnniges und trotziges Festhalten am Alten die Sache nur schlim-
mer mache und man am klügsten handle, wenn man mit dem König einen Ver-
fassungsver trag abschließe. Da diese Ansicht durch einzelne Personen wie durch
Magistrate häufig ausgesprochen wurde, so berief König Wilhelm eine zweite
neugewählte Landesversammlung behufs der Berathung einer stän dischen Ver-
fassung nach Ludwigsburg (13. Juli 1819). Der Entwurf wurde zur Ver-1819.
handlung zuerst einer Kommission übergeben, welche aus vier königlichen (Mi-
nister von Maucler, Obertribunal-Präsident von Gros, Staatsrath von Fischer und
Oberreglerungsrath Schmidlin) und sechs ständischen Bevollmächtigten (Fürst von
Waldburg-Zeil, Präsident der Ständeversammlung, Rechtskonsulent Weishaar,
Vicepräsident derselben, Freiherr von Varnbüler, und den Abgeordneten Theobald,
Gmelin und Burkhardt) zusammengesetzt war. Wohl hatte die Landesversamm-
lung an dem Entwurf noch manches auszusetzen, aber der düstere Geist der Re-
aktion, welcher durch Deutschland wehte, bewog sie zur Nachgiebigkeit. In
Folge des Wartburgfestes und der Ermordung Kotzebue's durch Sand waren
dem Ständehaus, um die Minderheit durch Drohungen umzustimmen. Einige der Ab-
geordneten, welche für den Verfassungsentwurf sprachen, wurden sogar bis in ihre Wohnungen
verfolgt. Dem Minister von Wangenheim wurden die Fenster eingeworfen.