K. 55. König Wilhelm. Fortsetzung. 223
Ständeversammlungen aufgelöst, weil mit ihnen keine angemessene Revision der
Verfassung zu Stande gebracht werden konnte. Im Jahr 185 3 wurden die
Todesstrafe durch die Guillotine und die körperliche Züchtigung wieder einge-
führt. Heruntergekommene Gemeinden wurden unter Staatsaufsicht gestellt und
die Gesetze zum Schutz der Wälder verschärft.
Die protestantische und katholische Kirche hatten während der Re-
gierung König Wilhelms lange friedlich neben einander gelebt, bis der geistreiche
katholische Theologe J. A. Möhler in Tübingen die Lehre der evangelischen
Kirche angriff. Als sein protestantischer Kollege Professor Baur hierauf ant-
wortete und das Verhältniß ein bitteres wurde, nahm Möhler einen Ruf nach
München an. Sein Auftreten in Württemberg war die Veranlassung zu einem
Streben der katholischen Kirchenleiter nach Selbständigkeit gewesen. Die Re-
volutionswirren des Jahres 1848 hatten der katholischen Kirche manchen Ge-
winn gebracht. So hatte Oesterreich im Jahr 1855 ein Konkordat mit dem
VPapste unterzeichnet. Dasselbe geschah im Jahr 1857 in Württemberg.
Die Regierung ließ alle Proteste und Petitlonen um Aufhebung des Konkordats
unbeachtet. Erst als die Kammer Badens, die in ähnlicher Lage war, entschlos-
sen auftrat und das Konkordat verwarf, als auch die Opposttion in Württemberg
sich steigerte, verstand sich die Regierung zur Naächglebigkeit. Die Kammer be-
schloß im Jahr 1861 die Ablehnung des Konkordats, und ein königliches
Restkript erklärte es, nachdem das Ministerium seine Entlassung genommen, für
gescheitert und aufgehoben. Im September desselben Jahrs legte das neue Mi-
nisterium den Kammern einen neuen Gesetzentwurf zur Reglung der katholischen
Kirchenverhältnisse vor, welcher den Interessen des Staats wie der Selbständig-
keit der Kirche in gleichem Maße Rechnung trug und von den Kammern ange-
nommen wurde.
Für die evangelische Kirche erschien 1841 ein neues Gesangbuch,
1843 eine neue Liturgie; 1851 wurde das Institut der Pfarrgemeinderäthe,
1854 die Diöcesansynoden eingeführt.
Nicht bloß in Württemberg, sondern in ganz Deutschland und Europa
war König Wilhelm geachtet. Wo es Deutschlands Macht und Wahrung seiner
Ehre galt, bot er gerne Rath und Hilfe. Die Einigung desselben und die Unter-
drückung seines Erbfeindes, gegen welchen er einst selbst so tapfer gekämpft, sollte
er nicht mehr erleben. Er starb, 83 Jahr alt, den 25. Juni 1846 auf seinem
Landhause Rosenstein. Kurz vor seinem Ende hatte er noch die Worte ge-
sprochen: „Es wird mir schwer, von meinem so schönen Lande und meinem so
treuen Volke scheiden zu müssen!“
König Wilhelm hatte während einer beinahe fünfzigjährigen Regierung
sein Land in jeder Beziehung auf eine hohe Stufe des Wohlstands und der Bil-
dung gehoben. Er hatte in dem Werke der Verfassung die Rechte und Freihei-
ten seines Volkes anerkannt und dadurch, wie durch seine unermüdliche Sorge für
das Wohlergehen seiner Unterthanen, zwischen diesen und sich ein unauflösliches
Band der Liebe und Treue geknüpft. Beide Theile lebten in dem vollen
Bewußtsein, daß sie Liebe gaben und empfiengen. Darum fsiel es dem Fürsten
schwer, sein Volk zu verlassen; darum war des Volkes Trauer über den Verlust
seines „Vaters“ eine echte und tiefe. — Sein Leichnam wurde nach seinem Wil-