Full text: Die Geschichte Württembergs.

§ 56. Der schwäbische Dichterkreis. 225 
gewendet; er hat zuerst wieder die deutsche Sage und die vaterländische Geschichte 
mit durchdringenden, oft erschütternden Tönen in die Gemüther der Jugend hinein- 
gesungen. Daß wir von den Sagen der Väter nicht bloß wissen, sondern sie 
als geistiges Eigenthum haben, daß wir sie wirklich besitzen, das verdanken wir 
ihm. Er hat das Schwärmerische und Träumerische, eben darum auch das Ge- 
spannte und Unwahre, welches dem Deutschthum der älteren Romantiker anhieng, 
vollständig überwunden: seine Gesänge haben, wie seine Gesinnung, 
Wahrheit, die Gestalten seiner Dichtungen Wirklichkeit“. Er 
ist vom Scheitel bis zur Sohle echt deutsch, kernhaft, jeder Zoll ein Mann, rein 
in seinen Sitten, keusch in seinen Gedichten, mannhaft in seinen Reden, treu 
seinem deutschen Charakter, treu seinem deutschen Volk, vor allem treu seinem 
Württemberg. 
Uhland ist in seiner Lyrik Naturdichter (s. seine „Frühlings= und 
Wanderlieder“) und Künstler. Er suchte das Lied auf seine alte Einfach- 
heit zurückzuführen und es sowohl dem Gegenstande als der Form nach mehr 
national zu machen. Dem deutschen Volksllede hat er das gründlichste Stu- 
dium zugewendet; ihm verdanken wir die erste zureichende Sammlung deutscher 
Volkslieder („Alte hoch= und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und 
Anmerkungen"). Einige seiner eigenen Lieder sind wie Volkslieder in den Mund 
des Volkes übergegangen z. B.: „Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein"“, 
„Ich hatt' einen Kameraden“. —. Neben dem, daß Uhland den Preis der Herr- 
lichkeit der Natur, der Liebe, Lust und Schmerz, die Heldenthaten unsres Volkes 
in den Befreiangskriegen besingt, ist er auch Dichter patriotischer Lieder, 
durch welche er zur Erweckung einer regeren und verständigeren Theilnahme an 
den Geschicken und der Leitung des Vaterlandes und zur besseren Gestaltung der 
öffentlichen Zustände in Württemberg das Seinige redlich beigetragen hat 
(s. Uhlands „Vaterländische Gedichte"). 
Am bedeutendsten ist Uhland im Epos und zwar in der Ballade und 
Romanze. Hierin verdient er eine der ersten Ehrenstellen im deutschen Dich- 
terkreis. Neben ausländischen Stoffen griff er am liebsten in die Geschichte 
Deutschlands und Württembergs hinein. Unter letzteren sind die schönsten die 
vier Balladen von dem „Grafen Eberhard, dem Rauschebart“". Seine 
Meisterschaft zeigt Uhland in der scharfen und bestimmten Charakteristik der Hel- 
den seiner Gedichte. Während es ihm die Hauptsache ist, diese klar vor unser 
Auge zu stellen, stellt er die Handlung in den Hintergrund, und diese wird uns 
erst in ihrer Beziehung zu den Personen wichtig. 
Die beiden Dramen Uhlands: „Ernst, Herzog von Schwaben"“ und 
„Ludwig der Bayer“ sind zwar nur dramattsirte Gedichte, verdienen aber 
doch eine Auszeichnung, weil sie echt vaterländische Stoffe behandeln. 
Justinus Kerner (geb. 1786 zu Ludwigsburg, gest. 1862 zu Weins- 
berg) war vom Jahr 1819 an Arzt in Weinsberg. Er huldigte von Jugend 
auf einem gewissen Hange zum Verkehr mit der übersinnlichen Welt der Geister. 
Er glaubte an eine solche und meinte über dieselbe die unmittelbarsten Aufschlüsse 
durch die sorgfältige Beobachtung von Somnambulen zu erhalten, welche deßhalb 
in seinem Hause die sorgfältigste Aufnahme und Pflege fanden. Aus dem Ver- 
kehr mit einer solchen Somnambule entstand Kerners berühmtes Buch „die Se- 
herin von Prevorst“". 
Staiger, Geschichte Württembergs. 15
	        
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