Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Greßbriiaunien. (März 17.) 525 
Churchill führt aus, daß dem Parlament bisher kein so hoher 
Flottenetat vorgelegen habe. Die Ursache seien höhere Löhne, Vermehrung 
des Personals, die größere Zahl der schweren Geschütze und die höheren 
Kosten für Munition. Die Absicht sei gewesen, acht Geschwader von Linien- 
schiffen in derselben Zeit fertig zu haben, in der die nächststarke Seemacht 
fünf fertig hätte. Die Schlachtkreuzer würden in beiden Fällen besonders 
gerechnet. Auch ein entsprechendes Stärkeverhältnis von Torpedobooten 
würde bestehen. Die Schiffe auf Auslandsstationen blieben ebenfalls 
außerhalb der Berechnung. Diese Flottenstärke sei angemessen und mäßig. 
Er freue sich, daß Staatssekretär von Tirpitz Gelegenheit genommen 
habe, das anzuerkennen. Keine Nation habe die Flottenorganisation schon 
vollendet. England hätte seine Ausrüstung etwas früher vollenden können, 
als es die Regierung jetzt vorschlage. Die Entwicklung der deutschen Flotten- 
organisation sei nicht so schnell vor sich gegangen, wie er vor zwei Jahren 
angenommen habe. Das neue dritte deutsche Geschwader werde am Ende 
des Finanzjahres 1914 15 fertig sein. Aber anscheinend würde das zweite 
Geschwader infolge Bemannungsschwierigkeiten drei Schiffe weniger haben, 
als er angenommen habe. Deshalb sei die Vollendung des Geschwaders 
von Gibraltar, das jetzt aus vier Schiffen bestehe, aufgeschoben. Jeder zu- 
fällige oder absichtliche Aufschub, den die nächststarke Seemacht eintreten 
läßt, werde von England nachgeahmt werden. England werde seine Or- 
ganisation nur in dem Maße, wie es nötig sei, vollenden. Infolge der 
Wirtschaftslage dürfe man annehmen, daß alle Werften im nächsten Finanz- 
jahre gute Fortschritte machen, und daß eine große Zahl von Schiffen in 
diesem Jahre fertig würde. Das hänge von unkontrollierbaren Faktoren ab 
und sei auf keine absichtliche Beschleunigung oder besondere Politik zurück- 
zuführen. Man dürfe erwarten, daß der Etat für 1915/16 wesentlich niedriger 
sein werde als der gegenwärtige. 
Was das Flugwesen betrifft, so betont der Minister die Bedentung 
der Hydroplane für den Rekognoszierungsdienst und die Küstenbewachung. 
Die schweren Hydroplane, die jetzt entwickelt würden, würden schwere ex- 
plosive Körper zum Hinunterwerfen führen. Von Luftschiffen seien bis jetzt 
15 erbaut oder im Bau, darunter zehn großen und mittleren Typs mit 
einer Schnelligkeit von 45 englischen Meilen in der Stunde. Er hoffe, im 
Sommer ein halbes Dutzend derartiger Luftschiffe über dem Parlaments- 
gebäude kreuzen lassen zu können. 
Zur Bemannungsfrage sagt Churchill: Wenn morgen ein Krieg 
ausbräche, so könnte jedes Schiff mit der etatsmäßigen Bemannung in 
See gehen. Die Verstärkung von 5000 Mann, die im Etat vorgesehen, sei 
für die Kriegsflotte 1915/16 bestimmt. Es beständen keine Schwierigkeiten, 
Leute zu bekommen. Churchill wendet sich darauf dem neuen Bauprogramm 
zu. Drei von den neuen Schiffen würden dem Royal Sovereigutyp und 
eines dem Queen Elisabethtyp angehören, alle würden 15 zöllige Geschütze 
führen. Das Geschütz sei das beste, das England je gehabt habe. Es be- 
säße alle Vorzüge des 13½ zölligen Geschützes. England würde zehn Schiffe 
mit diesem Geschütz zu einer Zeit haben, wo keine andere Nation mehr 
als zwei besäße. Der Minister erwähnt weiter, daß Ende 1914 15 70 be- 
waffnete Kauffahrteischiffe verhanden sein würden. Zur Frage des See- 
beuterechts bemerkt er, daß schwerlich eine andere Macht einen Torpedo 
weniger bauen würde, wenn England seine Politik änderte. 
Churchill behandelt darauf den 60-Prozent-Standard der Flotten- 
stärke. Dieser Standard bezöge sich auf den Neubau von Großkampfschiffen 
und werde eingehalten. Es hätte Meinungsverschiedenheiten gegeben, was 
in diesen Standard eingeschlossen sein sollte. Vor zwei Jahren habe er das
	        
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