8. 15. Rückblick. Verhältnisse und Zustände in Staat und Gemeinde. 37
Schwabenspiegel. Bei der Rechtspflege galt der Grundsatz, daß jeder seinen
Richter selbst wählen dürfe. Die Gerichte waren öffentlich und mündlich. Die
gerichtlichen Beweise waren Zeugen, Zweikampf und Gottesgericht. Mit dem
römischen Rechtswesen kam in unsere Strafgesetzgebung eine vorher nicht ge-
kannte Barbarel. Niedere Gerichte hatten das Recht, den Schuldigen prügeln
und kahl scheren zu lassen, alle höheren Gerichte verfügten über Lelb und Leben.
Zugleich erschien die schreckliche Tortur, die als fürchterliche Geißel Jahrhun-
derte lang unser Volk plagte und der Tausende von Unschuldigen zum Opfer ge-
fallen sind. Wo aber dieses Gerichtswesen keinen Eingang finden konnte, erhielt
sich das alte Freigericht unter freliem Himmel, mit gewählten Schöppen im
Beisein der freien Bauern. Hleraus bildete sich dann das Femgericht, das
solche Verbrecher, die sich dem öffentlichen Gericht nicht stellten, richtete und strafte.
Der Ritterstand hatte sich in der Zeit der Kreuzzüge in der Form
eines Innung ausgebildet, so daß Lehrlinge (Edelknaben, Waffenträger) und Ge-
sellen (Knappen, Relsige) bei dem Ritter in Waffenkunst lernten und mit ihm
in den Kampf zogen, bis man sie des Ritterschlags werth hielt. Dieser wurde
ihnen ertheilt mit den Worten:
„Zu Gottes und Marien Ehr
Empfange dies und keines mehr;
Sei tapfer, bieder und gerecht,
Besser Ritter als Knecht.“
Dabei mußte der Ritter schwören“ stets wahr zu reden, das Recht zu be-
haupten, die Rellgion und ihre Diener, Witwen, Waisen und die Unschuld zu
beschirmen und die Ungläubigen zu bekämpfen. Die Sammelpunkte der Ritter
waren die fürstlichen Höfe, wo sie in Turnieren und andern ritterlichen Spielen
ihre Kräfte übten und prüften, den Frauen dienten und feine Sitten lernten.
Das 12. und 13. Jahrhundert ist die Blütezeit der Ritterpoesie, des Minne-
sangs, der namentlich am Hofe der Hohenstaufen gepflegt wurde 1). Der treff-
lichste dieser Sänger war Walther von der Voge lwelde, der jedoch nicht
bloß die Llebe, sondern auch den Ruhm seines Volkes und das hereinbrechende
Verderben in Staat und Kirche besang. Von Kaliser Heinrich VI. und Kon-
radin sind uns heute noch deutsche Minnelieder erhalten; Manfred und Enzio
sangen nur italisch. — Vom Untergang der Hohenstaufen und dem damit ver-
bundenen Verfall des Herzogthums Schwaben an wurde das Verhältniß der
schwäbischen Ritter zur obersten Reichsgewalt und zu den Fürsten ein ganz an-
deres. Sie suchten, wie diese, vollständige Unabhängigkeit, und, da Gewalt vor
Recht gieng, stärkten sie sich durch enge Bündnisse, welche eine Zelt lang den
Fürsten und den Städten trotzen konnten. Aber diese Herrlichkeit sollte nicht mehr
lange dauern; dem Ritterstand hatte seine Stunde geschlagen und rasch, sehr
rasch gieng er seinem Erlöschen entgegen. Die Gründe zu diesem schnellen Verfall
liegen besonders in dem Dienstverhältniß, in welches viele Ritter zu den Fürsten
treten mußten, in ver Zerrüttung des Wohlstandes durch wildes Leben und
Schuldenüberhäufung, in der Theilung ihrer Besitzungen und vor allem in der
1) „Holde Harfen sinds gewesen,
Die hier oben weit getönt.“
A. Knapp, Spielburg.