8. 16. Rückblick. Verhältnisse und Zustände in Staat und Gemeinde. 39
wurde aber in den Städten eine viel edlere Beschäftigung nicht vergessen oder
vernachläßigt; die Künste fanden dort eine starke Stütze und sorgfältige Pflege.
Vor allem war es die deutsche (gothische) Baukunst, die anfangs nur in
den Klöstern getrieben worden war, aber schon im 13. Jahrhundert in den groͤßen
städtischen Zünften der Steinmetzen ihre Pflegestätten fand. Ihre „königliche
Kunst“ mit dem erblichen Gehelmniß genoß so große Rechte, daß diese Zunft
z. B. in Ulm eine Zeltlang das Stadtregiment inne hatte. Aus dlesem Ansehen
der Baukunst erklärt sich auch die große Zahl der herrlichen Denkmäler. Der
Kürze halber führen wir nur die bedeutendsten dieser großartigen Schöpfungen
an: Die Dome zu Köln (angefangen 1248), Straßburg (Erwin von Steinbach
begann den Thurm 1276, ausgeführt 1439 durch Hülz von Köln), Freiburg
#i. Br., Ulm (angefangen 1378), Eßlingen (Frauenkirche), Nürnberg, Metz,
Wien (Stephanskirche) u. s. w. — Zur Hebung der Malerei gründete Karl
IV. eine große Malerschule in Prag; später glänzte die von Köln, sowie die
niederländische Schule (Johann von Eyck, Erfinder der Oelmalereil). In
Schwaben machten sich namentlich Bartholomäus Zeitblome von Ulm
und Hans Baldung von Gmünd um die Malerel verdient. — Es geschehe
hier noch einer Kunfst Erwähnung, die in den letzten Jahrhunderten nur von den
Rittern geübt worden war, mit dem Anfang des 15. Jahrhunderts aber an die
Bürger übergieng; es ist dle Dichtkunst. Die Ritterwelt, die so gewaltige
Sänger aufweisen konnte, begab sich vollständig der Poesie, welcher sich nun
die Meister in den Städten widmeten. So trat an die Stelle des Minnesangs
der Melstersang, der nach fest bestimmten Regeln schulmäßig gelernt und
schulmäßig geübt werden mußte. Die Sitze der Singschulen waren hauptsächlich
die süddeutschen Städte Mainz, Augsburg, Nürnberg, Ulm, Colmar. „Ehrbare,
sittlich, streng und fromm übten diese Meister ihre Kunst als eine vorzugsweise
heiligen Zwecken gewidmete; ja nach der Reformation durften den Gesängen
nur biblische Terte unterlegt werden.“ Als bedeutendsten Sänger stellt sich uns
Luthers Zeitgenosse, Hans Sachs, dar, der „Meistersänger Meister“, wie
Herder ihn nennt, und welchem Göthe ein schönes Denkmal gesetzt hat in der
„Erklärung eines alten Holzschnitts, vorstellend Hans Sachsens poetische Sen-
dung.“ —
Die Kenntnisse in den Naturwissenschaften waren im Mittelalter noch sehr
gering. Mit der Arznelkunde befaßten sich hauptsächlich die Geistlichen und Juden.
Als ersten Arzt in Württemberg kennen wir Doktor Niklas von Schwert,
Leibarzt Eberhard's des Milden, später den Leibarzt des Grafen Ulrich V.,
Johann Kettner, der zuglelch Materialist, Zuckerbäcker und Lebküchner war.
Neben einer schönen Besoldung erhilelt er noch die Versicherung, daß neben ihm
kein anderer „inwendiger“ Arzt oder Apotheker im Lande bestellt werden dürfe.
Das Geschäft des Aderlassens und Schröpfens verblleb den Badern, den Be-
sitzern von Badestuben, die in den meisten Städten und Dörfern eingerichtet
waren. — So sehen wir in der 2. Hälfte des Mittelalters die Städte in allen
Stücken, in Handel, Gewerben und Künsten die erste Stelle einnehmen, weßhalb
sie geachtet, gefürchtet und beneidet wurden.
Ganz anders stand es mit den Bauern, den Bewohnern der Dörfer.
Der größte Theil derselben war den geistlichen oder weltlichen Herren durch Zinse
und Dienste verpflichtet, oder sogar ihr Elgenthum mit Leib und Gut. Wurde