K. 16. Fortsetzung. Rückblick. Verhältnisse und Zustände in der Kirche. 41
scheulichste Mittel nicht. Deutsche Fürsten wurden zum Verrath an ihrem Kaiser
aufgehetzt, und als das Hohenstaufenhaus zu Grunde gegangen war, kam das
Reich in päpftliche und französische Vormundschaft. Die deutschen Völker aber
waren die gehorsamen und geduldigen Schafe, die der römischen Kirche jedes
Jahr die größten Geldsummen beisteuerten. Wie aber von Rom aus jede Gewalt-
that und Sittenlostlgkeit, jeder Treubruch und Meineid, jeder Ungehorsam, ja
sogar Mord gutgeheißen ward, wenn es „zur größeren Ehre Gottes und zum
Heil der Kirche“ geschah, so wurde die Hauptstadt des Papstes auch der Sitz
der größten Liederlichkeit und Sittenverwilderung, wie denn der itallenische Dich
ter Petrarca sagt: „Alles, was man von Babylon erzählt, ist nichts gegen Avlg-
non. Die Nachfolger Petri gehen stolz einher in Purpur, Selde und Gold, und
in ihren prächtigen Palästen geben nicht Frömmigkeit und Glauben den Ton an,
sondern vor allem die Laster der Schwelgerei und des Genusses. Der Nieder-
trächtigste aber, sowie der Schuftigste und Lasterhafteste ist immer zugleich der
Angesehenste.“ Das schlechte Beispiel wirkte. Die Erzbischöfe und Bischöfe
ahmten an ihren Höfen die Pracht des päpstlichen Hofes nach. Wer offen gegen
die Greuel und Laster der Kirche auftrat, wurde beseitigt. Zudem waren alle
höheren Geistlichen in den Kampf zwischen der päpstlichen und kaiserlichen Macht
verwickelt; man sah sie selbst mit den Waffen in der Hand, während die nie-
dere Geistlichkeit in die tlefste Unwissenheit versunken war und größtentheils
schwelgerisch und sittenlos lebte.
Am schlimmsten stand es in den Klöstern, die sich in der Hohenstaufen-
zeit zu großer Selbständigkeit und Macht entwickelt hatten. Wie sie früher wahre
Lichtpunkte in der Finsterniß der noch heidnischen und unkultiotrten Länder ge-
wesen waren, so waren sie jetzt die Sitze aller Laster, die Nonnen= wie die
Mönchsklöster. Als Bonifacius IX. von den württembergischen Klöstern Geld
erheben wollte, gab ihm Eberhard der Greiner zur Antwort: „Meine Klöster
sind im Kriege verarmt; geben können sie darum nichts; aber reformiren will ich
sie, das können sie brauchen“. Durch Liederlichkeit geradezu berüchtigt war das
Nonnenkloster Gnadenzell (Offenhausen), das Herzog Eberhard im Bart verge-
bens zu reformiren suchte.
Was konnte bei solchen Führern aus dem Volke werden? Es lebte dahin,
gefangen in Aberglauben und Finsterniß, glaubte Gott durch äußere Uebungen,
deren Sinn es gar nicht verstand, den genügenden Dienst zu leisten. Im Uebrigen
überließ man sich, namentlich auch in Schwaben, der Völlerei, Spielsucht und
Unzucht. Glengen ja die Priester und Vornehmen denselben Weg voraus und
war es doch so leicht, durch Geschenke an die Kirche Gott wieder zufrieden zu
stellen. An die Stelle der Verkündigung des göttlichen Wortes traten lächerliche
Predigten, wahre Possenspiele, die das Heiligste durch den Schmutz zogen und
auch den allergewöhnlichsten Anstand verletzten. So wurde z. B. auf den Al-
tären gezecht und gewürfelt (die Klöster waren die ärgsten Spielnester), im Straß-
burger Münster wurde am Kirchweihfest wie in einem Wirthshaus gesoffen. Mit
der Verehrung der Reliquien wurde der größte Betrug getrieben, um dessentwillen
dann auch die ehrwürdigsten verhöhnt wurden. So zeigte man die Trommel, die
den Juden durch's rothe Meer vorangetrommelt, Holz von den drei Hütten, die
Petrus auf dem Verklärungsberg hatte bauen wollen, die Thränen Petri, die
Schweißtropfen Christi u. s. w.