Full text: Die Geschichte Württembergs.

42 II. Württemberg als Grasschaft. 
Bei dem einreißenden und zunehmenden Verderben hatte sich aber immer 
noch ein kleines Häuflein solcher gesammelt, die mit ernstlichem Verlangen die 
göttliche Wahrheit suchten. Zwar hatte schon Papst Innocenz III. erklärt, „daß 
die heilige Schrift nur eine Speise für ganz wenige sei; dem ungebildeten Haufen 
genügen die Sakramente“; und Gregor IX. hatte (1229) das Blbellesen geradezu 
verboten. Aber wenn man auch dem mächtigen Papst nicht offen zu widersprechen 
den Muth hatte, so umgiengen diejenigen, welche den Ungehorsam gegen die 
Kirche der Verletzung ihres Gewissens vorzogen, insgeheim die kirchlichen Gebote. 
Dies zeigte sich schon im 12. Jahrhundert an den Waldensern. Ihren Namen 
haben sie nicht von einem angeblichen Stifter Peter Waldus, sondern von val, 
Thal. Man verstand unter ihnen anfangs niemand anders als die Thalleute, 
d. h. die Bewohner der piemontesischen Alpenthäler. Sie waren einfache Leute, 
"schlicht und recht“, die ihre ganze Lehre auf das Evangelium zurückführten und 
alles verwarfen, was nicht in der heil. Schrift begründet war. Darum wurden 
sie bald von der Kirche verfolgt; viele slohen in andere Länder, wo sie meist 
freundlich ausgenommen wurden, so z. B. in unsern schwäblschen Reichstädten. 
Wie sehr der stttliche Verfall der Kähze das Volk erregte und zu Bußübungen 
antrieb, um dadurch Gott zu versöhnen, sehen wir an den Geißelbrüdern 
(Geißlern, Flagellanten). Sie waren im 13. Jahrhundert von Italien 
ausgegangen und durchzogen Polen, Ungarn und Deutschland. Ihre Acbzeichen 
waren weiße Hüte mit rothen Kreuzen; sie trugen ihren göttlichen Sendbrief, 
große Kreuze und prächtige Fahnen mit sich. Ueberall giengen sie in die Kirchen, 
fielen auf den Boden und sangen: 
„Jesus, der ward gelabt mit Gallen, 
Deß sollen wir alle am Kreuze fallen. “ 
Dann standen sie auf mit den Worten: 
„Nu hebet auf eure Hände, 
Daß Gott das große Sterben wende, 
Nu hebet auf eure Arme, 
Daß Gott sich über uns erbarme." 
Die Geißelung geschah meist unter freiem Himmel. — Der Papft befürch- 
tete aber, es möchte von den Geißlern eine große reformatorische Bewegung aus- 
gehen. Sie predigten gegen das tiefe Verderben der Geistlichkeit, ste beichteten 
und vergaben Sünden, ohne sich eines Priesters zu bedienen. Darum wurden sie 
in einer Bulle vom Jahr 1349 verdammt, und da sie sich nicht alsbald auflösten, 
blutig verfolgt, namentlich in Oesterreich, Salzburg und Passau. 
Obgleich aber die nach Reinheit der Lehre und des Lebens Strebenden 
grausam verfolgt wurden, so blieb immer noch eine, wenn auch geringe Anzahl 
solcher Leute übrig, die in der Stille sich erbauten. Sie hießen „die Freunde 
Gottes“; unter ihnen ragt namentlich Johann Tauler, Prediger zu Köln 
und Straßburg, hervor. Diese Gottesfreunde fanden sich hauptsächlich in den rhei- 
nischen und schwäbischen Städten, wie in Ulm, und bildeten in der Zeit der Ver- 
sunkenheit der Kirche einen Sauerteig, der im Stillen und Kleinen der großen 
Kirchenverbesserung vorarbeltete.
	        
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