1481.
60 II. Württemberg als Grafschaft.
der Scholastik und der päpstlichen Hierarchle bestehende Land zu lockern und zu
zerreißen. Neben Itallen (Petrarca, Boccacclo, Dante) bildete Deutsch-
land dle Pflegestätte der klassischen Literatur. Anfangs nahmen
sich die Fürsten (aus Nachahmung der Mediceer) derselben an, besonders Mari-
millan I., später die Unkversitäten. Am ersten öffneten sich den Klassikern die
Unlversitäten Heidelberg (Rudolf Agricola, 1 1485) und Tübingen
(Johann Reuchlin, 1 1522). Während der größte Theil der Gelehrten das
Studium der Klassiker als eigentlichen Zweck betrachtete, giengen ernstere Männer
weiter und sahen es bloß als Mittel zuhöherem Zweck an. Ste wandten
sich mit dem Studlum der griechischen und hebrälschen Sprache der Phllosophie
und Theologie, der Erforschung der blblischen Wahrheit zu und wurden dadurch
Pionniere der Reformation. Unter ihnen nennen wir außer den schon oben ge-
nannten noch den Rotterdamer Erasmus (geb. 1476). — Mit den Huma-
nisten, aber unabhängig von ihnen, sehen wir noch mehrere Männer der Refor-
mation vorarbeiten. Besonders sind es Thomas a Kempis (T 1471) durch
sein Büchlein „Von der Nachfolge Christl“; Johann von Goch (I1 1475),
der schon die beiden Grundprincipien der reformatorischen Lehre von der Allein-
giltigkeit der hl. Schrift in Glaubenssachen und die Lehre vom Sellgwerden durch
die göttliche Gnade aufstellte; Johann von Wesel (1 1481), als Ketzer zu
lebenslänglicher Klosterhaft verurtheilt; FJohann Wessel (1 1489), der nur
soweit mit dem Papste gehen wollte, als dieser mit der hl. Schrift gehe. — Die
Kirche war immer schlechter geworden; der päpstliche Hof, die Weltgeistlichkeit
und die Klöster suchten in Unstttlichkeit, Unkeuschheit und Geldgier einander zu
überbieten 1). Was Wunder, wenn durch die Völker des Abendlandes ein Stre-
ben gieng, von dem römischen Joche frei zu werden, die alten geistlosen Formen
zu zerschlagen und in die neuen einen lebenschaffenden Geist zu gießen.
1) Wir lassen darüber zwei Kirchenmänner reden. Cardinal Bellarmin sagt,
daß nach den Zeugnissen gleichzeitiger Schriftsteller „keine Schärfe in den geistlichen Ge-
richten, keine Zucht in Betreff der Sitten, keine Kenntniß der h. Schrift, keine Ehrfurcht
vor göltlichen Dingen, ja kaum etwas von Religion übrig geblieben war; so daß die
Priester von den Völkern verachtet und verschmäht wurden und an einer schweren und
langwierigen Ehrlosigkeit litten.“" Und Bischof Konrad von Würzburg klagt in
einem Synodalschreiben vom Jahre 1521: „Wir erkennen leider mit großer Betrübniß
unseres Herzens, daß die meisten Gottgeweihten eine schandbare Gesinnung haben, die
Würde ihres Amtes mit Füßen treten, ihre Nebenmenschen mit ihren Sünden und Lastern
besudeln und sich sogar damit rühmen. Anstatt durch Lehren, Predigen und reinen
Wandel das Heil der Seelen zu befördern, sind sie Seelenmörder. Sie wetteifern im
Saufen, erlustigen sich in ärgerlichen Schanspielen, nehmen sich einander im Spiel das
Geld ab, woraus dann Lügen, Betrug, Zank, bittere Feindschaft, Hurerei, Gottes-
lästerung, Prügelei, ja Mord und Todschlag entspringen.“