86. III. Württemberg als Herzogthum.
In den Reichstädten, namentlich in Neutlingen, Ulm, Heilbronn, Eßlingen,
Weil der Stadt, Biberach u. a., hatte die evangelische Lehre längst Eingang ge-
funden und festen Fuß gefaßt. Sie hatten der österreichischen Reglerung getrotzt
und diese konnte ihren Befehlen keinen Nachdruck geben. Im Lande war die
Predigt der reinen Lehre verfolgt worden, doch auch nicht mit Erfolg. Ulrich
berief sogleich zwei tüchtige Männer als Reformatoren: Erhard Schnepf,
der früher in Weinsberg und Wimpfen als evangelischer Prediger gewirkt hatte,
dann vertrieben und vom Landgrafen Philipp von Hessen nach Marburg als
Professor berufen worden war, und Ambrosius Blaurer, seit 1525 Pre-
diger in Konstanz. Jener erhielt als Feld seiner Thätigkeit das Land unter der
Steige, dieser das Land ob der Steige 1).
Die Weltgeistlichkeit leistete weniger Widerstand, als man erwartet
hatte: Es wurde ihr die Bedingung gestellt, entweder der Augsburger Konfession
gemäß zu lehren oder ihr Amt zu verlassen. Manche zogen aus dem Lande;
ältere und kränkliche Geistliche erhielten eine Pension. Von der Universität
in Tübingen zogen viele Lehrer und Studenten nach Freiburg. Zum Ordnen
der Angelegenheiten der Hochschule berief Ulrich Melanchthon und Brenz,
welche im Jahr 1536 die neue Universttätsordnung zu Stande brachten. Letzterer
mußte bald wieder von Tübingen abziehen, da ihn der Rath in Hall nicht länger
entbehren wollte. Zugleich errichtete Ulrich das theologische Stift in
Tübingen, in dem beute noch die württembergischen Prediger ihre Ausbildung
erhalten. Aus jährlichen Beiträgen des Armenkastens der Städte, Dörfer u.
s. w. sollte ein Grundstock gebildet werden, woraus für eine Anzahl Studtrender
Kost, Kleidung, Bücher, Papler rc. bestritten würden. Vom Jahr 1541 an
bekamen sie eine gemeinschaftliche Wohnung, im Jahr 1548 hlezu das Augustiner-
kloster, in dem sich heute noch das Stift befindet. — Schwieriger als bei den Welt-
geistlichen und der Hochschule gieng es mit der Reformation in den Klöstern.
Den Mönchen waren evangelische Lehrer geschickt worden. Einzelne Klöster traten
freudig der Reformation bei; die meisten Mönche zogen aber außer Landes. Wer
Mönch bleiben wollte, hatte in das Kloster Maulbronn zu ziehen. Zur Ver-
waltung der Klostergüter wurden herzogliche Beamte angestellt, die, um ihr Amt
ausüben zu können, in den Klöstern Herrenalb und St. Georgen Gewalt brauchen
mußten. Im Allgemeinen gieng die Ein führung der Reformation
sehr rasch von statten. Das Abendmahl wurde schon 1535 in Stuttgart
und Tübingen unter beiderlei Gestalt ausgetheilt.
Schnepf verfaßte im Auftrag Ulrichs eine Ordnung in Ehesachen,
eine Ordnung des gemeinen Kastens und eine allgemeine Kirchen-
ordnung.
Mit dem Kirchengut verfuhr der Herzog ziemlich willkürlich. Alle
protestantischen Fürsten hatten die reichen Stiftungen zur Gründung der neuen
evangelischen Pfarreien verwendet; war hiezu nicht alles nöthig, so wurde es als
selbstverständlich betrachtet, daß der Fürst den Rest der Gelder zur Bestreitung
des großen Aufwandes benützte, den die Einführung der Reformatton verursachte.
Das württembergische Kirchengut war sehr groß und umfaßte ein volles
1) So genannt nach der alten Eintheilung vom Jahre 1442 her, bei der die
Stuttgarter Weinsteige das Land halbirte.