Full text: Auswahl für das Feld.

Genug, die Forderung einer Regierung der Völker nach ihrem 
Willen besteht überall, sie wird erhoben so allgemein und gleich— 
mäßig, wie nie zuvor in der Geschichte, und wird schließlich 
ebenso gewiß befriedigt werden, als das Dasein der Völker dauern— 
der, berechtigter, stärker ist denn das Leben der widerstrebenden 
Mächtigen. 
Doch sehen wir den Dingen auf den Grund, betrachten wir, 
wie gänzlich unsere Freiheitsbegriffe sich verwandelt haben in 
diesem vielgestaltigen Kampfe, dessen Zuschauer und Mitspieler wir 
selber sind. Nicht mehr mit dem Ubermute, mit der unbestimmten 
Begeisterung der Jugend stehen wir den Freiheitsfragen gegen— 
über. Politische Freiheit ist politisch beschränkte Freiheit — dieser 
Satz, vor wenigen Jahrzehnten noch knechtisch gescholten, wird 
heute von jedem anerkannt, der eines politischen Urteils fähig ist. 
Und wie unbarmherzig hat eine harte Erfahrung alle jene Wahn- 
begriffe zerstört, welche sich unter dem großen Namen Freiheit 
versteckten! Die Freiheitsgedanken, welche während der französi- 
schen Revolution vorherrschten, waren ein unklares Gemisch aus 
den Ideen Montesquieus und den halb-antiken Begriffen Rous- 
seaus. Man wähnte den Bau der politischen Freiheit vollendet, 
wenn nur die gesetzgebende Gewalt von der ausübenden und von 
der richterlichen getrennt sei und jeder Bürger gleichberechtigt die 
Abgeordneten zur Nationalversammlung wählen helfe. Diese For- 
derungen wurden erfüllt, im reichsten Maße erfüllt, und was war 
erreicht? Der scheußlichste Despotismus, den Europa je gesehen. 
Der Götzendienst, den unsere Radikalen allzulange mit den Greueln 
des Konvents getrieben, beginnt endlich zu verstummen vor der 
trivialen Erwägung: wenn eine allmächtige Staatsgewalt mir den 
Mund verbietet, mich zwingt, meinen Glauben zu verleugnen und 
mich guillotiniert, sobald ich dieser Willkür trotze, so ist sehr gleich- 
gültig, ob diese Gewaltherrschaft geübt wird von einem erblichen 
Fürsten oder von einem Konvente; Krneechtschaft ist das eine wie 
das andere. Gar zu handgreiflich scheint doch der Trugschluß in 
dem Satze Rousseaus, daß, wo alle gleich sind, jeder sich selber 
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