Full text: Auswahl für das Feld.

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und der Regierten sich gänzlich decken; sie werden im freien und 
reifen Staate zwar zu demselben Ziele gelangen, aber auf weit 
verschiedenen Wegen. Der Bürger fordert vom Staate das höchst- 
mögliche Maß persönlicher Freiheit, weil er sich selber ausleben, 
alle seine Kräfte entfalten will. Der Staat gewährt es, nicht 
weil er dem einzelnen Bürger gefällig sein will, sondern weil er 
sich selber, das Ganze, im Auge hat: er muß sich stützen auf seine 
Bürger, in der sittlichen Welt aber stützt nur was frei ist, was 
auch widerstehen kann. So bildet allerdings die Achtung, welche 
der Staat der Person und ihrer Freiheit erweist, den sichersten 
Maßsßstab seiner Kultur; aber er gewährt diese Achtung zunächst 
deshalb, weil die politische Freiheit, deren der Staat selber bedarf, 
unmöglich wird unter Bürgern, die nicht ihre eigensten Angelegen- 
heiten ungehindert selbst besorgen. 
Diese unlösbare Verbindung der politischen und der persönlichen 
Freiheit, überhaupt das Wesen der Freiheit als eines fest zu- 
sammenhängenden Systems edler Rechte hat weder Mill noch 
Laboulaye recht verstanden. Jener, im Vollgenusse des englischen 
Bürgerrechts, setzt die politische Freiheit stillschweigend voraus: 
dieser, unter dem Drucke des Bonapartismus, wagt vorderhand 
nicht daran zu denken. Und doch führt die persönliche Freiheit 
ohne die politische zur Auflösung des Staates. Wer im Staate 
nur ein Mittel sieht für die Lebenszwecke der Bürger, muß folge- 
recht nach gut mittelalterlicher Weise die Freiheit vom Staate, nicht 
die Freiheit im Staate fordern. Die moderne Welt ist diesem 
Irrtume entwachsen. Noch weniger indes mag ein Geschlecht, das 
überwiegend sozialen Zwecken lebt und nur einen kleinen Teil 
seiner Zeit dem Staate widmen kann, in den entgegengesetzten 
Irrtum der Alten verfallen. Diese Zeit ist berufen, die unver- 
gänglichen Ergebnisse der Kulturarbeit, auch der politischen Arbeit 
des Altertums und des Mittelalters in sich aufzunehmen und fort- 
zubilden. So gelangt sie zu der vermittelnden und dennoch selb- 
ständigen Erkenntnis: für den Staat besteht die physische Not- 
wendigkeit und die sittliche Pflicht, alles zu befördern, was der 
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