1. Abschnitt. Allgemeine Vorschriften. (8 1.) 31
Aufklärung hierfür gibt die Reichsverfassung selbst, die sich in zwei-
facher Richtung mit der Staatsangehörigkeit befaßt: sie gewährleistet
einerseits den Angehörigen des einen Bundesstaats gewisse Rechtsvorteile
in den Gebieten aller übrigen Bundesstaaten und sie zählt anderseits
die Bestimmung über das Staatsbürgerrecht zu den Gegenständen, welche
der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches unterliegen (Art. 3
und Art. 4 Ziff. 1 der Reichsverfassung vom 16. April 1871, abgedruckt
unten S. 199). Rechtlich stellt sich das Verhältnis so dar, daß die Einzel-
staaten mit dem Abschlusse des Vertrags über die Gründung des Deutschen
Reichs und seine Verfassung sich verpflichtet haben,
a) den Angehörigen der übrigen Bundesstaaten einen Teil der
Vorrechte einzuräumen, die sie ihren eigenen Angehörigen gewähren,
b) bei der Verleihung und Entziehung der Staatsangehörigkeit be-
stimmte Grundsätze zu beachten, die durch Reichsgesetz aufgestellt werden
ollen.
Die erstere Zusicherung ist durch zahlreiche Reichsgesetze über das
bürgerliche Recht und das Gerichtsverfahren, die Freizügigkeit und das
Gewerbewesen, das Presse-, Vereins= und Versammlungsrecht, das Paß-
wesen, die Heeresdienstpflicht usw. in die Tat umgesetzt worden. Die
letztere Vereinbarung hat das B. u. St Ges. und an seiner Statt nun-
mehr das R. u. St Ges. verwirklicht. Beide Gesetze haben hierbei klar
ausgesprochen, daß die Staatsangehörigkeit samt der mittelbaren Reichs-
angehörigkeit ausschließlich vom Bundesstaat aus eigener Macht, nicht
etwa von seinen Behörden im Auftrag oder Namen des Reichs ver-
liehen und entzogen werden (vgl. R. u. St Ges. 88 1, 3, 7, 8S, 10—13, 20,
23, 27, 28, 30, 31). Damit ist der Fortbestand des einzelstaatlichen Hoh-
heitsrechts auch nach Errichtung des Deutschen Reichs anerkannt; die
Bundesstaaten haben sich durch ihre Zustimmung zur Reichsverfassung
lediglich bestimmten Beschränkungen in der Ausübung dieses Rechts
unterworfen.
Die Bundesstaaten haben ferner in der mittelbaren Reichs-
angehörigkeit besondere Beziehungen ihrer Untertanen zu dem Staats-
gebilde „Deutsches Reich“ geschaffen. Wir verstehen unter der mittel-
baren Reichsangehörigkeit die Pflicht, gegenüber dem Reich die durch
Gesetz begründeten Verbindlichkeiten zu erfüllen, und das als Gegen-
leistung gedachte Anrecht auf den Schutz des Reichs. Die mittelbare
Reichsangehörigkeit ist notwendige Zubehör der Staatsangehörigkeit in
einem Bundesstaat, d. h. sie kann nur mit letzterer erworben werden,
ist nicht von ihr zu trennen und geht mit ihr verloren. „Beide Rechte